Filmfestspiele in CannesIris Berben: „Frauen hinken in der Filmbranche immer noch hinterher“

Iris Berben auf dem roten Teppich in Cannes. (obr/spot)
Iris Berben auf dem roten Teppich in Cannes. (obr/spot)

L’Oréal Paris

SpotOn NewsSpotOn News | 19.05.2023, 11:26 Uhr

"Regisseurinnen sind auf großen Festivals sowie auch im Alltag der Filmindustrie noch immer keine Normalität", mahnt Iris Berben am Rande des Filmfestivals in Cannes. "Mit Blick auf Filmförderungen und deren Inhalte, hinken Frauen leider nach wie vor hinterher."

Mit sechs Frauen sind in diesem Jahr so viele weibliche Regisseure wie noch nie beim Filmfestival in Cannes vertreten. Für Schauspielerin Iris Berben (72) eine „halbgeteilte“ Freude.

„Es zeigt, dass weibliche Regisseure auf großen Festivals sowie auch im Alltag der Filmindustrie noch immer keine Normalität sind“, so die 72-Jährige am Rande des Filmfestivals.

Sie engagiert sich seit vielen Jahren für die Gleichberechtigung

Berben engagiert sich seit vielen Jahren für die Gleichberechtigung in der Filmbranche und spricht auch den „Lights on Women Awards“ eine große Bedeutung zu. Die Initiative von L’Oréal Paris für aufstrebende Filmmacherinnen zur Förderung von Frauen im Film, wurde vor drei Jahren ins Leben gerufen. „Mit Blick auf Filmförderungen und deren Inhalte, hinken Frauen leider nach wie vor hinterher“, mahnt die Schauspielerin. Doch Berben listet auch viele positive Beispiele auf, darunter auch Hollywood-Star Reese Witherspoon (47).

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Mit sechs Frauen sind so viele weibliche Regisseure wie lange nicht mehr im Wettbewerb vertreten. Wie sehr freut Sie das?

Iris Berben: Natürlich freue ich mich darüber – aber es ist auch auf gewisse Weise ärgerlich, dass die Tatsache noch immer ein Hochgefühl in uns erwecken soll. Es zeigt, dass weibliche Regisseure auf großen Festivals sowie auch im Alltag der Filmindustrie noch immer keine Normalität sind. Demnach ist es eine große Freude, aber diese ist halbgeteilt. Ich sehe es als einen Ansporn an, den Weg weiterzugehen und entlang dessen Anspruch zu erheben und einzufordern, was Frauen innerhalb der Branche zusteht. Nur so kann die Präsenz weiblicher Regisseurinnen zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Was sind die größten Herausforderungen, die sich Frauen auch heute noch in der Filmindustrie stellen müssen?

Berben: Der Gleichstand bei Schauspielerinnen und Schauspielern ist eine große Herausforderung. In Bezug auf Produktionen, Drehbücher und Regie sind Schauspielerinnen noch immer in der Filmförderung benachteiligt – und innerhalb der von Männern beherrschten Branche fehlt der Wille, dies zu ändern. Ja, Frauen gewinnen erfolgreich Preise und sind auf den Festivals präsent. Aber mit Blick auf Filmförderungen und dessen Inhalte, hinken Frauen leider nach wie vor hinterher. Sie erhalten geringere Budgets und müssen in einem anderen Tempo strampeln, als ihre männlichen Kollegen. Dabei müsste die Hälfte des Förderbudgets an Frauen gegeben werden. Dieses Thema muss weiterhin gemeinsam, mit aller Kraft nach vorne getrieben werden. Der Ansatz von L’Oréal Paris, im Rahmen des Lights On Women Awards gezielt weibliche Filmemacherinnen zu unterstützen und ein Zeichen für das Streben nach einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis in der Filmbranche zu setzen, zielt genau darauf ab.

Was glauben Sie, welchen Einfluss haben Streamingdienste darauf, dass die Anzahl der Filmemacherinnen wächst?

Berben: Ich glaube, dass Streamingdienste Diversität fördern können, indem sie die Breite an Zuschauerfilmen durch ihre Angebote stetig ausbauen. Sie wagen sich mehr, auch „Nischenprogramme“ zu besetzen und bieten ein breitgefächertes Angebot an Themen – sie tragen unkonventionelle Geschichten an die Öffentlichkeit. Sie bieten eine neue Art des Entdeckens für Zuschauer und Zuschauerinnen. So erlangen Frauengeschichten mit weiblichen Produzentinnen wie die Verfilmung des Buches von Margaret Atwood vermehrt Aufmerksamkeit. Streamingdienste arbeiten generationsübergreifend, sie richten sich nicht mehr an nur ein kleines Publikum und dienen als eine Art Katalysator für den Mut, sich zu öffnen und mehr zu trauen.

Welche Frauen haben Sie in den letzten Jahren in der Filmbranche am meisten beeindruckt?

Berben: Ich bewundere Frauen, die selbst produzieren, und zwar für Frauen und mit Frauen. Hier ergriff unter anderem Reese Witherspoon die Initiative und schuf ihre eigene Produktion, gemeinsam mit einer Vielzahl an starken Frauen. So auch Julia Ducournau, welche mit ihrem Film „Titane“ in Cannes gewonnen hatte – der Gewinn kam unerwartet. Man traut Frauen oftmals nicht zu, dass sie produzieren. Auch der Film „Toni Erdmann“ von Regisseurin und Drehbuchautorin Maren Ade beweist ein kämpferisches Herz und trägt ihre sehr persönliche Handschrift. Ich finde es beeindruckend, wie es ihr in Cannes gelang, Frauen mitzuziehen und ihr eigenes Bild zu zeichnen. Auch verfolgte ich den Weg der Präsidentin der Filmfestspiele in Cannes, Iris Knoblauch, als erste Frau des Amtes voller Bewunderung. Ich habe die Hoffnung, dass mit ihr die Filmfestspiele eine ganz neue Aufmerksamkeit erfahren und sie als Präsidentin herausstechen wird. Die Zukunft wird es zeigen – aber ich traue es ihr in jedem Fall zu.

Sie setzen sich bereits seit vielen Jahren für Frauen in der Filmbranche ein. Wo sehen Sie bereits Verbesserungen?

Berben: Wir befinden uns auf dem Weg des Fortschrittes – Frauen werden bereits bewusster wahrgenommen. Es wird sich getraut, laut zu werden, Forderungen werden ausgesprochen und diese werden Teil unserer Filmpolitik. Es ist eine Diskussionsbereitschaft von und mit Männern da, und das ist gut und wichtig. Denn ein gemeinsames Miteinander und ein offener Diskurs ist das, was uns voran bringt – auch wenn es mühsame Arbeit ist. Ich finde es toll, wie sich Frauen heutzutage vernetzen und immer wieder neue Ansätze schaffen, um Mut und Unterstützung zu gewährleisten. Doch auch, wenn sich hier bereits einige Fortschritte verzeichnen lassen, so liegt noch immer ein weiter Weg vor uns.

Großes Thema ist bis heute der Gender-Pay-Gap: Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, dass Frauen bei den Gagen nicht mehr hinterherhinken?

Berben: Filmförderung, Gender Pay Gap – wir Frauen sollten nicht immer hinterherhängen. Fehlende Kindertagesstätten sollten nicht der Grund sein, weshalb Frauen aus der Branche aussteigen. Die Filmindustrie ist so divers und feministisch, warum genau an diesem Punkt nicht? Aktuell ist die Schauspielerei ein familienunfreundlicher Beruf. Hier müssen bewusst Möglichkeiten geschaffen werden, Frauen zu fördern. Dies funktioniert über den politischen Weg, über Quoten, über klare Richtlinien und über gesellschaftlichen Druck, der dabei hilft, ein Umfeld zu schaffen, in dem Frauen trotz ihrer Aufgabe als Familienmitglied, als Mutter oder Ehefrau, ihren Beruf ausführen können. So wie es auch Männer tun können.

Sie sind seit Jahrzehnten in der Filmbranche, welchen Rat können Sie angehenden Schauspielerinnen geben?

Berben: Wir sprechen hier von einer Generation, die eine starke und besonders kraftvolle ist. Sie besitzt ein gutes Standing und äußert präzise Vorstellungen darüber, wie das Leben innerhalb der Branche aussehen sollte. Doch natürlich brauchen auch sie Hilfestellung und Unterstützung. Allen angehenden Schauspielerinnen würde ich den Rat mitgeben, sich miteinander zu vernetzen, voneinander zu lernen und sich Mut zuzusprechen – innerhalb sowie zwischen Generationen. Auch muss sich vor Augen geführt werden, dass der Beruf viel mit Haltung und Disziplin zu tun hat. Einem wird viel Kraft abverlangt und nicht alles führt zu glamourösem Erfolg. Hierbei gilt es, sein eigens Selbstbewusstsein zu schärfen, seine Stärken und Schwächen kennenzulernen, an ihnen zu arbeiten und sich bewusst zu werden: Willst du berühmt sein oder willst du Schauspielerin werden? Denn das ist nicht ein und dasselbe. Und der Weg des roten Teppichs ist schön, aber er ist auch nur das Sahnehäubchen.

Sie sind ein echter Stammgast in Cannes. Wie unterscheidet sich das Filmfestival von den vielen anderen roten Teppichen?

Berben: Die Filmfestspiele von Cannes befinden sich ganz weit oben in der Beobachtungsskala weltweit, sie sind ein legendäres Festival – eine ganz große Bühne, im Gegensatz zum Beispiel zu Berlin, dessen Filmfestivals meist politisch geprägt sind. Cannes dagegen hat viel mit Glamour zu tun und mit globaler Aufmerksamkeit. Internationale Stars, vielzählige Rubriken, neue und einzigartige Protagonistinnen und Protagonisten, alles in allem eine unglaubliche Stärke und Strahlkraft, welche genutzt werden sollte. Sie bietet die Gelegenheit, Inhalte zu transportieren und Statements in die Welt zu tragen. Wir alle können den Glamour des Festivals nutzen, um Themen zu kommunizieren und Werte zu verankern.

Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr besonders?

Berben: Wenn ich ehrlich bin: Am meisten freue ich mich auf den Jury-Präsidenten Ruben Östlund, durch dessen Film wir die goldene Palme und drei Oscar-Nominierungen erhielten. Der Mann ist filmisch ein solcher Kämpfer und treibt die Schauspielerinnen und Schauspieler durch seine Liebe zum Film zur Höchstleistung. Dass er die Funktion des Jury-Präsidenten innehält, ist wunderbar. Vielleicht schafft man es, sich kurz zuzuwinken. Wie er lebt und liebt und kämpft durfte ich hautnah miterleben, daher bin ich sehr gespannt, auf ein Zusammentreffen in Cannes. Auch freue ich mich darauf, weitere Filme zu sehen und zu entdecken.

Genießen Sie das große Blitzlichtgewitter auf dem roten Teppich?

Berben: Gekämmt, geschminkt und gebürstet – und das über drei Stunden hinweg. Natürlich erwacht da die Lust und Freude auf den roten Teppich und das Blitzlicht. Es ist ein unglaubliches Gefühl, den Teppich mit fantastischen Kolleginnen und Kollegen zu teilen und Zusammenhalt und Stärke zu präsentieren. Es bleibt immer aufregend, der rote Teppich ist kein Moment, an den man sich schnell gewöhnt. Es ist wie eine Verneigung vor dem Beruf, mit all seinen Macherinnen und Machern. Wir alle präsentieren einen Arbeitsprozess, welcher Jahre zuvor angestoßen wurde und zeigen, dass wir unseren Beruf gerne machen und sprechen der Branche unseren vollsten Respekt zu. Wir präsentieren eine Gemeinschaft.