Wie das Suchtgedächtnis funktioniertRückfall nach Alkoholentzug: Suchtmedizinerin klärt über Ursachen auf
Schauspielerin Jenny Elvers hat kürzlich offen über einen Alkohol-Rückfall gesprochen. Im Interview erklärt Suchtmedizinerin Dr. Reingard Herbst, wie es zu solchen Rückfällen kommt, und welche Strategien helfen können.
Eigentlich galt Jenny Elvers (51) seit vielen Jahren als trocken, hatte ihre Alkoholsucht unter Kontrolle. Vor Kurzem wurde die Schauspielerin jedoch rückfällig. Mit ihrer Erkrankung geht Elvers seit vielen Jahren offen um. Gegenüber der "Bild"-Zeitung legte sie offen, dass anhaltende Depressionen hinter ihrem Rückfall stecken. Laut Dr. Reingard Herbst, Chefärztin der Nescure Privatklinik am See, gehören psychische Erkrankungen zu den häufigsten Ursachen für Rückfälle bei Alkoholerkrankten. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt die Medizinerin, wie das Suchtgedächtnis funktioniert, wie das Risiko eines Rückfalls gemindert werden kann, und ab wann man überhaupt von einem Rückfall spricht.
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Die Schauspielerin Jenny Elvers erklärte kürzlich, dass anhaltende Depressionen hinter ihrem Alkohol-Rückfall stecken. Sind mentale Erkrankungen ein typischer Faktor bei Rückfällen?
Dr. Reingard Herbst: Psychische Erkrankungen im Sinne von Depressionen oder depressiven Verstimmungen sind häufig mit ursächlich für Vor- oder Rückfälle bei Alkoholerkrankten. Auch die Art und Weise, wie die oder der Betroffene mit Belastungssituationen umgeht, ist hier ausschlaggebend. Welche Belastungen sind noch aushaltbar, wann wird das Maß zu voll? Diese Fragen sind hier zu stellen und es ist ein ganz individueller Umgang bei jeder/m einzelnen Erkrankten damit festzustellen.
Was sind weitere Faktoren, die nach einem erfolgreichen Entzug zu einem Rückfall führen können?
Dr. Herbst: Wie bereits angedacht, sind alle Geschehnisse, die im Gehirn des alkoholerkrankten Menschen als chronisch negative Dauerbelastung oder negativer Dauerstress bewertet werden, Ursachen für Rückfälle. Die Verarbeitung von Stress jeglicher Art, von Belastung jeglicher Art, obliegt unseren tieferen Hirnstrukturen. Und wie und wann diese etwas als "nicht mehr aushaltbar und damit als negative Stressoren" bewerten, hängt von den frühen Kindheitserfahrungen und Prägungen ab.
Wie genau funktioniert eigentlich das Suchtgedächtnis? Was passiert da im Körper?
Dr. Herbst: Verantwortlich für das Suchtgedächtnis ist ein entwicklungsgeschichtlich altes Areal im Gehirn, welches auf die Verarbeitung von Gefühlen getrimmt ist. Es reagiert auf sogenannte Botenstoffe, die Neurotransmitter, und im Falle von Alkohol reagiert es vor allem auf das Dopamin. Und dieser Botenstoff wird bei jemandem, der Alkohol trinkt, zunächst einmal in großen Mengen bereitgestellt. Das fühlt sich gut an, denn es ist ein Belohnungsstoff, ein Glückshormon. Wenn viel bereitgestellt wird, dann wird auch viel davon an Rezeptoren gebunden und genau das will das Gehirn nun immer wieder haben.
Da aber bei regelmäßigem Konsum die Regler für die Rezeptorbindung des Dopamin nach unten verschoben werden, muss man immer mehr oder öfter trinken, damit das System weiter hochgefahren werden kann. Ohne Alkohol funktioniert das eben nur im Rahmen der biologischen Gleichgewichte und die sind viel niederer eingestellt, als Suchtstoffe das vermögen. Das Gehirn erinnert sich aber an das ehemals viele Dopamin und möchte das immer und immer wieder. Dieses Verlangen lässt nach, aber es wird niemals vergessen. So wie manche Menschen vielleicht ihre erste Liebe nie vergessen oder das erste Auto.
Mit welchen Strategien kann das Risiko eines Rückfalls minimiert werden?
Dr. Herbst: Die Strategie ist, dass an die Stelle der Belohnung durch Alkohol eine andere Möglichkeit treten muss. Also, was kann ich mir Gutes tun, ohne Alkohol? Das kann Ausdauersport oder moderater Kraftsport sein, das können ein Hobby, Musik, Malerei, Theater, ein erfüllender Beruf sein. In jedem Fall helfen Therapiegruppen, am Ball zu bleiben.
Wie wichtig ist das soziale Umfeld beim Kampf gegen Alkoholsucht und dem Schutz vor Rückfällen?
Dr. Herbst: Aus vielen Untersuchungen kennt man die Zahlen: Sofern das soziale Umfeld, die Einbindung in soziale Gefüge und in ein erfülltes Arbeitsleben stimmen, sind die Aussichten auf dauerhafte Abstinenz am besten.
Wie kann man als Angehöriger oder Freund/Freundin Unterstützung leisten?
Dr. Herbst: Zuhören, nicht belehren; da sein, wenn nötig und auch Hilfe bei der Suche nach Therapie anbieten.
Ab wann spricht man eigentlich von einem Rückfall – gibt es verschiedene Grade oder Arten des Rückfalls?
Dr. Herbst: Ein Rückfall ist zuerst mal ein Vorfall. Wenn die Vorfälle aber mehrere nacheinander oder innerhalb kurzer Zeit sind oder diese maßlos in der Trinkmenge werden, dann ist es kein Vorfall mehr, sondern ein Rückfall.
Jenny Elvers geht schon seit vielen Jahren offen mit ihrer Alkohol-Erkrankung um. Ist das eine gute Strategie, sich selbst zur Verantwortung zu ziehen?
Dr. Herbst: Aus meiner Sicht ist es eine gute Strategie, da man sich nicht versteckt, sondern offen fordert, schaut mich an und schaut auf mich. Ob das bei Menschen des öffentlichen Interesses so günstig ist, ist sicher eine persönliche Entscheidung. Im Falle von Frau Elvers gehört viel Mut dazu und von Seiten der Medien wenigstens eine gute Portion Respekt ihrer Person gegenüber.
Und wie wichtig ist es, dass wir als Gesellschaft offen mit Suchterkrankungen umgehen? Kann das helfen, Stigmatisierung zu reduzieren und Betroffene bei ihrer Genesung zu unterstützen?
Dr. Herbst: Dass die Gesellschaft langsam verstehen lernt, dass Sucht generell eine Erkrankung ist und multifaktoriell entsteht und vor allem keine Willensschwäche des/der Betroffenen ist. Das ist in der Tat eine notwendige Erkenntnis innerhalb der Gesellschaft und diese kann dazu führen, dass Menschen mit Sucht offener umgehen und sich früher anvertrauen und sich helfen lassen.
Kann man jemals ganz von einer Alkoholsucht geheilt werden?
Dr. Herbst: Ich denke ja, aber ab wann wir von echter Heilung sprechen dürfen, ist mir persönlich nicht klar. Wir sehen Verläufe von 20 Jahren Abstinenz und dann wieder komplette Abstürze. Aber vielleicht sollte man nicht von Heilung generell sprechen, sondern von abstinenten Zeiten. Und da ist jede Zeit gut, denn schon wenige Monate wirken auf den Körper und vor allem auch auf die Psyche heilend und fördern die Gesundung des ganzen Menschen.