Kinostart „Venom: Let There Be Carnage“: Wenn Gollum einen Superheldenfilm dreht

In "Venom 2" bekommt es der Titel-Antiheld mit dem Scheusal Carnage (Bild) zu tun. (stk/spot)
In "Venom 2" bekommt es der Titel-Antiheld mit dem Scheusal Carnage (Bild) zu tun. (stk/spot)

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SpotOn NewsSpotOn News | 20.10.2021, 20:00 Uhr

In "Venom: Let There Be Carnage" stürzt sich Tom Hardy einmal mehr als Eddie Brock ins Chaos. Doch nicht nur der Held wirkt zuweilen schizophren.

Erfolg gibt recht. Die Comicverfilmung „Venom“ von 2018 dient als guter Beleg für diese These. Zwar wurde der Streifen mit Tom Hardy (44) in der Hauptrolle nicht mit begeisterten Kritiken versehen. Doch spielte der grelle Streifen über eine ungewollte Mensch-Alien-Symbiose weltweit über 850 Millionen US-Dollar ein. Statt Ruben Fleischer nahm für die Fortsetzung „Venom: Let There Be Carnage“ (Kinostart: 21. Oktober) nun „Herr der Ringe“-Star Andy Serkis (57) auf dem Regiestuhl Platz. Auch wenn es so wirkt, als habe zeitweise Gollum das Zepter übernommen…

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Ziemlich beste Symbionten – darum geht es

Noch immer muss sich der rasende und zunehmend rasend wütende Reporter Eddie Brock (Hardy) seinen Körper mit einer außerirdischen Lebensform namens Venom teilen. Auch das Alien ist mit dieser fleischlichen Zweck-WG immer unzufriedener: statt leckerem Menschenhirn ist er gegen seinen Willen auf Hühnchen- und Schokoladen-Diät gesetzt. Ein Wirt-Wechsel steht jedoch nicht zur Debatte, wie Zuschauer aus Teil eins wissen – nur Eddies Körper scheint Venom nicht umgehend abstoßen zu wollen.

Apropos abstoßend: Seit Jahrzehnten rottet der psychopathische Serienkiller Cletus Kasady (Woody Harrelson, 60) im Knast vor sich hin. Viele seiner Opfer konnten jedoch noch nicht gefunden werden. Hier kommt Eddie ins Spiel. Er soll Cletus per Exklusiv-Interview hinter Gittern dazu bringen, deren Gräber preiszugeben. Angenehmer Nebeneffekt für den Investigativjournalisten: Mit dem Deal könnte er seinen arg ramponierten Ruf aufpolieren. Aber auch der Killer verfolgt einen Plan. Er will mit dem Interview seiner nicht minder manischen Liebe Frances Barrison (Naomie Harris, 45) eine Botschaft zukommen lassen. Jedoch interveniert Venom gewohnt rabiat und das Chaos nimmt seinen Lauf.

Zwischen ernst und albern

In Teil eins war es Hardys exzessives Mienenspiel, das viel vom Reiz an „Venom“ ausmachte. In der Tat stahl er damit manch einer am Computer entstandenen Actionszene von Antiheld Venom die Show. Auch in „Let There Be Carnage“ legt sich Hardy mächtig ins Zeug, die Situation ist jedoch eine ungleich undankbarere. Großteile der Situationskomik, die durch Hardys internen Machtkampf mit Venom entstehen, gab es so schon im Vorgänger zu sehen. Oder, in Form der zahlreichen Oneliner des Aliens, zu hören. Manche der Gags zünden dennoch, viele nicht.

So schizophren die Hauptfigur für seine Umwelt zu sein scheint, so uneins wirkt mitunter der ganze Film. Den beiden Antagonisten, Cletus und Frances, wird eine düstere, tragische Hintergrundgeschichte spendiert, die fesselt. Sie beißt sich allerdings arg mit dem klamaukhaften Titelhelden. Eine ähnliche Diskrepanz störte schon bei „Deadpool 2“, als das Titel-Großmaul (Ryan Reynolds) auf die Figur Cable (Josh Brolin) traf, der eines der tragischsten Schicksale im ganzen MCU auferlegt wurde.

Es wirkt beinahe so, als habe auf dem Regiestuhl nicht Andy Serkis, sondern dessen ikonische „Herr der Ringe“-Figur Gollum mit sich selbst gerungen. Den garstigen Hobbits helfen oder ihnen die Kehlen durchschneiden? „Venom: Let There Be Carnage“ ernsthaft oder albern erzählen? Am Ende fiel die Entscheidung auf Kosten der Gegenspieler auf Letzteres.

„Natural Born Killer“ mit unnatürlichem Haar

Solange Woody Harrelson als comichafte Version von Hannibal Lecter hinter Gittern sitzt, macht er seine Sache überzeugend. Sobald mit ihm aber auch das Chaos ausbricht, wird es karikaturesk. Als Abklatsch seiner „Natural Born Killers“-Rolle zieht Harrelson einmal mehr mordend über die Leinwand – nur jetzt mit 60 Jahren und schlechtem Toupet. Als bedrohlicher Widersacher wirkt er ab dann nicht mehr, auch nicht in den recht generischen Actionsequenzen zwischen Hardys Venom und Harrelsons Carnage.

Das größte Versäumnis des mit 97 Minuten Laufzeit kurzweiligen Films findet sich bei den weiblichen Figuren. Durfte Michelle Williams (41) in Teil eins noch als Eddies Ex Anne ordentlich Paroli bieten, ist sie nun lediglich die „Damsel in Distress“, die dazu dient, die Handlung voranzutreiben. Und auch Naomie Harris‘ Charakter bleibt nach anfänglich stimmungsvoller Einführung zu blass.

Fazit

Chance vertan? Nicht ganz. Bereits „Venom“ war alles andere als perfekt, traf aber dennoch den Geschmack vieler Zuschauer. Erste Zahlen aus den USA zeigen, dass dies auch auf die Fortsetzung zutrifft. Als alberne und kurzweilige Flucht aus der Realität ist auch „Venom: Let There Be Carnage“ wieder bestens geeignet. Gäbe es nicht eine besondere Szene, die nichts mehr mit dem eigentlichen Film zu tun hat, so hätte man ihn wohl schon beim Verlassen des Kinos wieder vergessen. In diesem Sinne: Selten war es wichtiger, auch nach dem Abspann sitzen zu bleiben…