„ABBA in Deutschland“: Längst vergessene Geheimnisse in einem fetten Buch

ABBA 1976
ABBA 1976

IMAGO / Allstar

Paul VerhobenPaul Verhoben | 10.09.2022, 21:25 Uhr

ABBA wurde zwar zu einem weltweiten Phänomen, doch Deutschland blieb neben England immer ihr wichtigster europäischer Markt. Ein Bildband zeichnet den einzigartigen Erfolg hierzulande nach.

Die schwedische Popgötter ABBA sind natürlich auch aus der deutschen Musiklandschaft nicht wegzudenken. Letztes Jahr legten sie das größte und erfolgreichste Comeback der Pop-Geschichte hin. Und das 47 Jahre nach ihrem weltweiten Durchbruch im Seebad Brighton. Das hat noch keiner vor ihnen geschafft und dürfte auch nicht wiederholbar sein.

Für die vier jungen Schweden Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad wurde 1974 der Sieg des Grand Prix mit ihrem späteren Welthit „Waterloo“ zum Startschuss eines weltweit einmaligen musikalischen Siegeszugs, der sich auch Jahrzehnte nach der „Trennung“ 1982 fortsetzte und sogar noch steigerte. Deutsche Fans in Ost und West schlossen sie von Beginn an direkt ins Herz. Neben zahlreichen Auftritten im deutschen Fernsehen waren ABBA dreimal in West-Deutschland auf Tournee.

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ABBA waren oft in Deutschland

ABBA wurde zwar zu einem weltweiten Phänomen, doch Deutschland blieb neben England immer ihr wichtigster europäischer Markt – abgesehen vom fernen Australien! Das neue Buch „ABBA in Deutschland“ zeichnet den einzigartigen Erfolg von ABBA in Deutschland in den Jahren 1972 bis 1983 nach und lässt Persönlichkeiten aus Musik– und Fernsehbranche sowie Fotografen und viele weitere zu Wort kommen.

Wir haben mit dem schwedischen Autor Micke Bayart geplaudert.

Micke Bayart mit seinem ABBA-Buch

@ privat

Es gibt unzählige Bildbände und Chroniken. Ist über ABBA nicht schon alles erzählt worden?

In der Tat gibt es sehr gute und interessante Bücher über ABBA, die jedoch ‚nur‘ die Geschichte der Gruppe insgesamt betrachten, aber nicht spezifisch auf Deutschland bezogen. Da ich selbst daran sehr interessiert bin, aber hierzu keine entsprechende Literatur finden konnte, habe ich es geschrieben. (lacht)

Was macht ABBA für Sie so besonders?

Zum einen ist es etwas sehr Persönliches, denn die Gruppe war für mich während meiner Jugend in Deutschland, die nicht immer leicht gewesen ist, eine Art sicherer Felsen in einer stürmischen See. Zum anderen sind es natürlich die Lieder, die mit ihrer musikalischen Vielfalt mehrere Genres umspannen, zeitlos sind und damals wie heute immer noch frisch klingen.

In „ABBA in Deutschland“ geht es um eine weitesgehend lückenlose Chronik ihrer Aufenthalte vor allem in West-Deutschland. Welche Quellen standen ihn zur Verfügung? Mit wem konnten Sie sprechen?

Ich habe mir die deutschen TV-Auftritte angeschaut und intensiv in alten Zeitungsartikeln geforscht, was und wie über ABBA geschrieben wurde. Darüber hinaus hatte ich die Möglichkeit, mit deutschen Weggefährten der Gruppe zu reden – dies reicht unter anderem vom Sohn ihres deutschen Musikverlegers bis hin zu Fotografen sowie Frank Elstner und Rainer Holbe, bei dem sie ja in der ‚Starparade‘ zu Gast waren. Ganz besonders habe ich mich auf gefreut, mit dem DDR-Journalisten Wolfgang Martin sprechen zu können, der ABBA während ihrem einzigen DDR-Auftritt 1974 in ‚Ein Kessel Buntes‘ interviewt hat. Dazu kommen enge Weggefährten aus Schweden, mit denen sie im Studio oder auf Tour waren. Aber auch Musikerkollegen wie Ian Haugland von Europe oder Cindy Berger, die damals mit ihrem Mann Bert, West-Deutschland 1974 beim Grand Prix vertreten hatte – und wir wissen ja, wer da gewonnen hat…

ABBA

IMAGO / ZUMA Wire

In Deutschland flogen ABBA ja damals die Herzen zu, in der Heimat Schweden war das wohl nicht so. Warum?

ABBA waren beim Publikum hier in Schweden sehr beliebt, jedoch von der Progg-Bewegung gehasst, da sie ihrer Meinung zu kommerziell waren und nur Geld verdienen wollten. Da in führenden Positionen beim Radio und Fernsehen oft deren Vertreter das Sagen hatten, waren sie nicht besonders häufig zu sehen oder zu hören. Dies spiegelte sich dann aber in hohen Plattenverkäufen wieder, denn die breite Masse mochte sie ja.

Haben der deutsche Schlager von damals und ABBA-Musik nicht was gemeinsames?

Wenn Sie damit meinen, dass es Melodien sind, die verschiedenen Genres angehören, welche jedoch eingängig sind und beim Publikum ankommen – ja! Aber für mich persönlich ist ABBA‘s Musik nicht mit dem deutschen Schlager gleichzusetzen.

Sie haben Agnetha, Benny, Björn und Anni-Frid auch persönlich getroffen. Was haben diese Treffen bei Ihnen an Eindrücken hinterlassen?

Alle vier sind sehr bodenständige und natürliche Personen – von Starallüren überhaupt keine Spur. Und vor allem Anni-Frid hat sehr viel Humor!

Haben Sie heute noch Kontakt?

Da ich ja auch als Freelance Fotograf viel mache, habe ich sie immer wieder mal bei öffentlichen Veranstaltungen vor der Linse – und wenn es die Gelegenheit zulässt, werden auch mal ab und zu mal ein paar Wörter gewechselt…

ABBA 2022
ABBA 2022

@ Dave Nelson

ABBA sind im Prinzip erst seit den 1990ern zur wohlverdienten Anerkennung gekommen. Leute wie Gene Simmons von KISS oder Dave Grohl von den Foo Fighters hätten gerne mit Benny Andersson zusammengearbeitet. Die Musikwelt verneigt sich mit größtem Respekt vor ihren vier berühmten Landsleuten.
Warum gab es erst so eine späte Huldigung auch von Großen internationalen Musikerkollegen?

Vielleicht war es damals einfach uncool, ABBA offiziell zu mögen und hat nicht immer zum Image der jeweiligen Künstler gepasst. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass sie in den 70er Jahren als Mädchengruppe verschrien war… Aber letztendlich setzt sich gutes Handwerk und Qualität eben immer durch und wird früher oder später anerkannt.

Ob ABBA vielleicht doch noch ein paar Songs rausbringen? Äußerungen wie die von Frida lassen ja aufhorchen …

Sie spielen auf ein Interview im englischen Radio an, in dem sie auf diese Frage mit ‚Never say never‘ antwortete…. Aber ich glaube, dass es das war…. Und das ist meine persönliche Meinung, nichts Offizielles.

ABBA 1974 in Ost-Berlin:

Wie sind sie zu ABBA gekommen? Sie waren in den 1970ern noch ein Kind.

1976 ging ich an einem Schaufenster vorbei, das mit mehreren LPs, auf deren Cover vier Menschen in einem Helikopter saßen, dekoriert gewesen ist. Hierbei handelte es sich um ‚Arrival‘, und da ich schon immer von der Fliegerei begeistert gewesen bin, wollte ich diese Platte zuerst nur wegen des Covers haben. Nach dem ersten Anhören war es dann auch musikalisch um mich geschehen!

Was macht ein ABBA-Fanclub wie „ABBA-Intermezzo“?

Der Fanclub wird leidenschaftlich von meiner guten Freundin Regina Grafunder geleitet und berichtet über Aktuelles aus dem ABBA-Lager sowie über Vergangenes. Regina ist wirklich die beste Fanclub-Leiterin, die sich eine Gruppe wünschen kann!

Welches Buch über ABBA müsste noch geschrieben werden?

Ein von den Mitgliedern selbst geschriebenes Buch!

Über den Autor Micke Bayart

Micke Bayart ist Deutsch-Schwede, verbrachte seine Jugend in Deutschland und lebt heute in Stockholm. Er hat bereits zwei Bücher über die schwedische Popgruppe geschrieben. Abba by Micke erzählt seine eigene Geschichte als er in den 80er-Jahren in einem Fanclub der Gruppe aktiv war. Im Rahmen einer Fine-Art-Ausstellung im Stockholmer Abba-Museum mit Bildern des schwedischen Fotografen Torbjörn Calvero erschien 2015 Abba by Calvero. Darüber hinaus schreibt Micke Bayart regelmäßig Featureartikel für den internationalen Fanclub „Abba Intermezzo“ (www.abba-intermezzo.de), und er wurde in den letzten Jahren von der ARD für Radiobeiträge sowie für „Brisant“ und die NDR-Dokumentation „Happy Birthday ABBA – 40 Jahre Welthit Waterloo“ interviewt. Darüber hinaus wirkte er international in finnischen (YLE TV), französischen (M6 TV) und britischen Medien (BBC Radio) mit.