InterviewMatthew Greywolf von Powerwolf: Was steckt hinter den Pseudonymen?

Matthew Greywolf erklärt: "Ich bin auf der Bühne nicht die Privatperson, diese würde dort nicht hinpassen." (tae/spot)
Matthew Greywolf erklärt: "Ich bin auf der Bühne nicht die Privatperson, diese würde dort nicht hinpassen." (tae/spot)

Matteo Fabbiani / VD Pictures

SpotOn NewsSpotOn News | 15.07.2021, 12:28 Uhr

Die Metal-Band Powerwolf setzt ihre Erfolgsgeschichte fort und veröffentlicht mit "Call Of The Wild" ein neues Album. Gitarrist Matthew Greywolf verrät im Interview, was es mit den Pseudonymen der Bandmitglieder auf sich hat und warum die Privatpersonen nicht auf die Bühne passen.

Seit mehr als 15 Jahren begeistern Powerwolf bereits ihre Fans. Nun haben sie mit ihrem Album „Call Of The Wild“, das am 16. Juli erscheint, neue Heavy-Metal-Hymnen geschaffen. Bekannt ist die Band vor allem für ihre aufwändigen Bühnenshows, die Mitglieder treten unter Pseudonymen auf.

Gitarrist Matthew Greywolf (43), bürgerlich Benjamin Buss, verrät im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news, warum seine Privatperson nicht auf die Bühne passt und die Pseudonyme „mehr als nur Namen“ sind. Außerdem erzählt er, wie lange die Band vor Shows in der Maske sitzt und wie sehr sich die Mitglieder bereits auf Konzerte nach den langen Lockdowns freuen.

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Welche Geschichten erzählen Sie auf „Call Of The Wild“?

Matthew Greywolf: Das Album erzählt viele Geschichten, teils fiktive, teils solche mit historischem Hintergrund, wie etwa im Song „Beast of Gévaudan“, der von einer wahren Begebenheit aus dem 18. Jahrhundert handelt, die sich in Südfrankreich ereignet hat. Damals wurden mehr als 100 Menschen Opfer einer mysteriösen und nie erlegten Bestie. Die Legenden reichen von einem besonders großen Wolf bis zur theologischen Interpretation der Rache Gottes an der sündhaften Landbevölkerung des Landstrichs im Gévaudan. Solche Themen sind prädestiniert für einen Powerwolf-Song, wir lieben solche Legenden.

Ihre Texte sind oft mit einem Augenzwinkern verbunden, manchmal werden Sie aber auch sehr ernst. In „Glaubenskraft“ etwa beziehen Sie sich auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Warum wollten Sie über dieses Thema einen Song schreiben?

Greywolf: Weil es mich sprichwörtlich sprachlos gemacht hat, zu erfahren, dass bei der Aufarbeitung dieser Fälle Kirchenrecht gilt, nicht Strafrecht. Um das deutlich zu machen: Das Thema hat für mich nichts mit Religion oder Glaube zu tun. Es handelt sich um Machtmissbrauch, um Straftaten. Dass anno 2021 hier dennoch kirchenintern geurteilt wird, ist unfassbar. Nun gibt es den geflügelten Spruch: Wo die Worte fehlen, muss die Kunst sprechen, und genau so war es: Ich fühlte mich geradezu gezwungen, dazu einen zynischen Text zu verfassen.

Sie sind nicht religiös, trotzdem arbeiten Sie gerne mit religiösen Themen. Was begeistert Sie daran?

Greywolf: Ich war persönlich schon immer fasziniert von der Ästhetik des Katholizismus, unabhängig von Glauben und Inhalt. Ich wurde katholisch sozialisiert, kenne den katholischen Ritus also von Kindesbeinen an und er hatte auf mich schon immer eine mysteriöse Faszination, gleichermaßen feierlich wie morbide. Mein erstes erlerntes Instrument war nicht zufällig die Kirchenorgel, lange bevor ich als Teenager zur Gitarre kam. Auch heute fasziniert mich kirchliche Kunst. Die alten Holzschnitte, die Kirchenfenster oder die Architektur. Das alles ist, unabhängig von Glaubensfragen, spannendes Kulturgut.

Sie waren einmal eine kleine Band aus dem Saarland, mittlerweile spielen Sie als Headliner auf Festivals und landen mit Ihren Alben auf den vorderen Plätzen der Charts. Wie gehen Sie mit diesem Erfolg um? Wie bleiben Sie auf dem Boden?

Greywolf: Man lernt damit umzugehen, der Erfolg kam ja nicht über Nacht, sondern ist hart erarbeitet. Zudem umgeben wir uns privat nicht mit Schulterklopfern, sondern mit Menschen, die in uns nicht nur die Musiker von Powerwolf sehen. Mit steigendem Erfolg wird das immer wichtiger. Wir leben und arbeiten diese Band 24/7, aber natürlich gibt es auch die Privatpersonen. Manchmal ist es nicht einfach, umzuschalten von dem Leben auf Tour, der Rolle, die man dort einnimmt, und dem Privatleben zu Hause.

Wie blicken Sie auf Ihre Karriere zurück? Was waren Ihre größten Höhepunkte, was waren die größten Tiefpunkte?

Greywolf: Für einen Rückblick fühle ich mich noch zu sehr „mittendrin“, aber sicherlich gab es unsterbliche Momente wie die Show in Wacken 2019 auf der Mainstage zur Primetime oder unser erstes Nummer-eins-Album in den Charts, das erste Gold- oder Platinalbum. Mehr geht nicht. Das vergisst man nie. Aber natürlich ist das Leben gerade auf Tour auch nicht immer einfach, da hat jeder mal seinen Hänger. In solchen Momenten schätze ich mich glücklich, dass wir nicht nur eine Band, sondern tatsächlich beste Freunde sind. Die Band existiert seit 15 Jahren im Grunde im gleichen Line-up, wir haben schon viele Ups and Downs, privat wie als Band, zusammen durchlebt, das schweißt zusammen und überstrahlt jeden kommerziellen Erfolg.

Sie sind im September Teil des „Bullhead City“-Festivals. Wie sehr freuen Sie sich schon darauf, nachdem das Wacken Open Air auch dieses Jahr abgesagt wurde?

Greywolf: Es wird sicherlich ein ganz besonderer Moment sein, nach dieser langen Zwangspause endlich wieder als Headliner auf der Bühne zu stehen. Zudem in Wacken, diesem besonderen Ort für jeden Heavy-Metal-Fan, das wird sicherlich ein feierlicher Moment sein.

Wie lange sitzen Sie vor Ihren Auftritten in der Maske?

Greywolf: Ungefähr 90 Minuten. Dabei geht es um weit mehr als nur darum, das Make-up anzulegen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Transformation in den Bühnencharakter. In diesen 90 Minuten hat außer unserem Tourmanager niemand Zutritt zum Dressingroom. Alle im Raum sind zu 100 Prozent auf die bevorstehende Show fokussiert und wir pushen uns gegenseitig. Ohne diese rituellen 90 Minuten keine Show.

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, Ihre Pseudonyme aufzugeben und mit Ihren bürgerlichen Namen aufzutreten?

Greywolf: Nein, denn die Pseudonyme sind mehr als nur Namen, es sind die Charaktere, die Powerwolf ausmachen, das gehört eng zusammen mit der Musik, der visuellen Seite der Show und dem Gesamterlebnis. Das alles greift ineinander, eines existiert nicht ohne das andere. Ich bin auf der Bühne nicht die Privatperson, diese würde dort nicht hinpassen.

Sind die Pseudonyme für Sie auch eine Art Selbstschutz?

Greywolf: Nein, sie sind Teil des Gesamterlebnisses Powerwolf. Powerwolf sind mehr als Musik. Wir bieten Show, Vision, Eskapismus. Auch unser Publikum lässt einen Teil des Alltags draußen, wenn die Powerwolf-Show beginnt. Darum geht es.

Manche Medien haben die Hintergrundgeschichten Ihrer Pseudonyme für bare Münze genommen. Wie belustigt waren Sie darüber? Wie haben Sie band-intern darauf reagiert?

Greywolf: Das interessiert uns nicht. Alice Cooper ist auch Alice Cooper, niemanden interessiert, wie der Mann heißt, wenn er auf der Post ein Paket abholt. Ich will Alice Cooper auf der Bühne sehen und erstklassig unterhalten werden. Genauso ist es bei Powerwolf.

Wie haben Sie als Band die Lockdowns verbracht?

Greywolf: In erster Linie haben wir an „Call Of The Wild“ gearbeitet und das mit einer bisher nicht erlebten Besessenheit. Wir steckten alle Passion, alle Emotion ins Songwriting. Davon abgesehen habe ich auch durchaus die Entschleunigung genossen in den ersten Monaten. Wir waren in den letzten Jahren permanent unterwegs, Studio, Tourneen, Festivals. Ich habe mehr Zeit in Tourbussen und Flugzeugen verbracht als zu Hause, man kam nie zur Ruhe und das Leben raste. 2020 hatte etwas von einem zwangsverordneten Sabbatical. Manch einem hat das mit Sicherheit gutgetan.

Was erwartet Ihre Fans in den nächsten Liveshows?

Greywolf: Ich glaube, durch diese erschütternde Erfahrung, dass Dinge wie Festivals und Liveshows nicht selbstverständlich sind, sondern wie jetzt geschehen von heute auf morgen wegfallen können, werden in den kommenden Monaten und Jahren solche Events wieder viel intensiver erlebt und ausgekostet. Zumindest werde ich es als Musiker, aber auch privat als Konzertgänger so halten. Auf unserer kommenden Tour erwartet die Zuschauer die bisher größte und abwechslungsreichste Powerwolf-Show, die es jemals gab. Wir hatten viel Zeit, an der Tourproduktion zu arbeiten, wenn auch aus Lockdown-Gründen zunächst auf dem Papier und am Rechner, aber ich kann schon jetzt versprechen: Es wird heiß, es wird feurig und es wird wild!