Lebens-ProjektVideo: Die Brown Sisters machen seit 47 Jahren das gleiche Foto

Brown Sisters Fotos
Brown Sisters Fotos

Beispiefoto: Natalia Bostan

Redaktion KuTRedaktion KuT | 16.03.2022, 20:00 Uhr

“The Brown Sisters” ist ein Langzeitprojekt des US-amerikanischen Fotografen Nicholas Nixon der seit 1975 einmal jährlich ein Porträt seiner Frau Bebe und ihrer drei Schwester aufnimmt. Die Bilder vom allmählichen Altern sind in dieser geballten Wucht hinreißend!

Entstanden ist die Serie eigentlich aus Langeweile. Nicholas Nixon (*1947) wollte sich die Zeit bei den Besuchen der Schwiegereltern vertreiben und nahm deshalb seine Kamera mit. Dabei entstand 1974 auch das erste Bild seiner Frau und ihrer Schwestern – das landete jedoch im Müll. Nixon war nicht zufrieden mit der Aufnahme, die Idee allerdings blieb in seinem Kopf und so startete die Serie schließlich 1975. Heather war damals 23, Mimi 15, Laurie 21 und Nixons Frau Bebe 25.

Die einzigen zwei Regeln

Lediglich zwei Regeln wurden dafür festgelegt. Zum einen sollte die Reihenfolge der Schwestern immer gleich bleiben, auch wenn das die Schwestern am Bildrand wenig erfreute. Nixon räumte deshalb ein, dass er bereit wäre die Reihenfolge zu ändern, wenn sie ihn überzeugen könnten, dass eine Änderung ein besseres Bild erzeugt. Was nicht geschah.

Aber auch bei der Auswahl der Fotos haben die Schwestern ein Mitspracherecht. Etwa zehn Aufnahmen schießt Nixon pro Jahr – immer vom Stativ mit der gleichen Kamera und auf Schwarz-Weiß-Film – aus denen dann gemeinsam das Bild des Jahres ausgewählt wird.

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Memento Mori

Gestartet als Familienschnappschuss um der Langeweile zu entfliehen ist so über die Jahre ein dokumentarisches Langzeitprojekt entstanden, das auf verschiedene Arten gelesen werden kann. Natürlich ist der Alterungsprozess ein zentrales Element und damit verbunden die Endlichkeit des Daseins. Somit fungieren die Bilder quasi als Memento Mori.

Gleichzeitig legt die Serie ein kulturgeschichtliches Zeugnis ab und führt durch verschiedene Mode- oder Frisurentrends. Weiterhin lässt sich erkennt wie sich die Schwestern als Personen verändern, wie ihre Gesichtsausdrücke von jugendlicher Coolness (fast als wäre es ein Bandfoto) hin zu gelassener Zufriedenheit im Alter wandeln. Und nicht zuletzt kann man ihr Verhältnis untereinander ableiten, wenn man die Bilder als eine Art Familienaufstellung nimmt.

Über die Jahre reduziert sich der Abstand zwischen den Schwestern immer weiter, sie stehen enger zusammen und umarmen sich zum Teil. Eine Ausnahme stellt lediglich das bisher letzte Bild der Serie aus dem “Jahr des Abstands” 2020 dar, das die Schwestern alle einzeln zeigt.

Sie wollen anonyme Frauen sein

Was genau in den Schwestern vorgeht oder wer sie wirklich sind bleibt jedoch weitgehend im Verborgenen. Nixon hat dazu in einem Interview gesagt: „Sie wollen anonyme Frauen sein. Jeder weiß, dass sie verheiratet sind. Ich denke, jeder weiß, dass sie alle auf dem College waren. Aber was ihre berufliche Tätigkeit oder ihre Beziehung zu ihren Kindern angeht, so würden sie sich verraten fühlen, wenn ich darüber sprechen würde.”

Über Nixons Frau Bebe ist jedoch bekannt, dass sie in Boston als Sozialarbeiterin mit Krebspatienten arbeitet. Auch für sie ist das Thema Vergänglichkeit also allgegenwärtig, wie auch in Nixons anderen Arbeiten, die sich teilweise mit Aidskranken oder alten Menschen beschäftigen. In der Serie der Schwestern bleibt er allerdings auch größtenteils anonym. Lediglich im Bild von 1984, aufgenommen am Strand, kann man seinen Schatten erkennen. Vor der Kamera ist er in einer anderen Serie zu sehen, die ihn in intimen Momenten zusammen mit seiner Frau Bebe zeigt. Die Bilderserie der Brown Sisters hingegen gibt zwar einerseits einen tiefen Einblick und hält einen aber gleichzeitig auf Distanz. Sie verrät genau so viel wie sie verhüllt. Doch der Blick auf die Schwestern im Wandel der Zeit fasziniert.

Ich hoffe, sie hören erst auf, wenn ich sterbe

Im Jahr 2006 wurden die Bilder deshalb im New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) ausgestellt und 2021 haben sie den Weg nach München in die Pinakothek gefunden, wo erstmals alle 46 Fotografien gemeinsam in einer Ausstellung zu sehen waren. Wie lange die Serie noch weiter voranschreiten wird? Nixon sagt dazu: „Ich kann mir vorstellen, dass die Fotos irgendwann aufhören werden. Ich hoffe, sie hören erst auf, wenn ich sterbe. Ich hoffe, dass sie aus keinem anderen Grund aufhören, aber es liegt nicht nur an mir, verstehen Sie? Die Schwestern müssen komplett mitarbeiten. Wenn eine von ihnen sterben würde und dann alle sagen würden, wir müssen aufhören, müsste ich mich dem widerwillig beugen.“ Hoffen wir dass Nixons Dokumentation der Endlichkeit noch eine kleine Unendlichkeit weitergeht.