Antisemitismus-KontroverseGil Ofarim: Warum der Fall so kompliziert ist und was wir daraus lernen können

Gil Ofarim: Warum der Fall so kompliziert ist und was wir daraus lernen können
Gil Ofarim: Warum der Fall so kompliziert ist und was wir daraus lernen können

IMAGO / Future Image

Redaktion KuTRedaktion KuT | 18.10.2021, 23:00 Uhr

Die Hotel-Kontroverse rund um Gil Ofarim geht weiter — und zwar anders, als man es erwartet hätte. Was wir daraus lernen sollten.

Gil Ofarims (39) Streit mit dem Westtin-Hotel in Leipzig geht weiter — nur etwas anders, als es sich Ofarim wohl gedacht hätte.

Eine kurze Chronologie: Der Musiker — Deutscher mit jüdischen Wurzeln — behauptete am 5. Oktober 2021 in einem Video, von einem Hotelmitarbeiter eines Leipziger Hotels zunächst nicht drangenommen und später aufgefordert worden zu sein, seine Davidstern-Kette abzulegen. Für Ofarim eindeutig ein antisemitischer Vorfall. Nachdem er das Video (am Tag nach dem Vorfall) veröffentlichte, zog dies sofort einen Shitstorm auf das Hotel mit sich.

Eine weitere Konsequenz: Besagter Mitarbeiter wurde flugs suspendiert, reichte umgehend aber eine Klage gegen Ofarim wegen Verleumdung ein. Der Sänger zeigte den Mitarbeiter auf Anraten seins Anwalts rund eine Woche danach ebenfalls an.

Gil Ofarim: Warum der Fall so kompliziert ist und was wir daraus lernen können
Ofarim mit Ketten. Eine mit Anhängsel und die andree: Kann man nicht sehen

IMAGO / Future Image

Zweifel an Ofarims Geschichte

Wenige Tage später kamen allerdings erste Zweifel auf, auch von Ermittlerseite. Überwachungsvideos zeigen den Musiker offensichtlich ohne sichtbar getragene Kette. Ofarim erklärt mittlerweile, dass er nicht wisse, ob er die Kette tatsächlich sichtbar trug, beim Polizeiverhör soll er überhaupt infrage gestellt haben, ob er sie überhaupt getragen hatte (was er aber mittlerweile bestreitet). Die Reaktionen darauf sind, wenig überraschend, teils äußerst hämisch.

„Das Ausmaß, und dass ich vielleicht vom Opfer zum Täter gemacht werde, darüber habe ich mir jedoch keine Gedanken gemacht“.
(Ofarim im Bild-Interview)

Der Sohn der Musikerlegende Abi Ofarim (†80) erzählt die Geschichte mittlerweile etwas abgeändert: „Der Satz, der fiel, kam von hinten. Das heißt, jemand hat mich erkannt“, so Ofarim zu „Bild“.  „Es geht hier nicht um die Kette. Es geht eigentlich um was viel Größeres. Da ich oft mit dem Davidstern im Fernsehen zu sehen bin, wurde ich aufgrund dessen beleidigt“. 

Video News

Das Problem mit vorschnellen Reaktionen

Antisemitismus ist ein heikles, trauriges und ohne Zweifel leider immer noch präsentes Thema. Ein Thema, das Emotionen schürt, Empörung und — völlig zurecht und glücklicherweise — Solidarität mit den Betroffenen erzeugt. Gerade deswegen benötigt ein solches Thema aber eine überlegte Reaktion, eine seriöse und bedachte Vorgehensweise — und kein vorschnelles Online-Scherbengericht. Prinzipiell beruht unser Rechtssystem schließlich auf der Unschuldsvermutung.

Wenn nun aber ein wütender, emotionalisierter Mob (viele davon vielleicht treue Fans des Musikers, die ihrem Idol prinzipiell Recht geben) sofort auf jenes Hotel, mehr noch: auf den Mitarbeiter losgeht, vor dem Hotel demonstriert, die Entlassung oder Suspendierung geradezu erzwingt, dann ist das für alle Seiten kontraproduktiv. Hier geht es auch um den Ruf eines Hotels und eines (womöglich unschuldigen) Mitarbeiters — und bis tatsächlich feststeht, was genau passiert ist, gilt es hier abzuwarten.

Wenn die Vorwürfe stimmen, ist das eine andere Sache. Ob sie das tatsächlich nicht tun, ist aber eben nicht sicher.

Es kann keine Gewinner geben

Es gibt in dieser Angelegenheit, wie sie sich mittlerweile gestaltet, keine Gewinner. Sollte es sich herausstellen, dass Ofarim nicht die Wahrheit gesagt — oder auch einfach nur übertrieben, etwas vielleicht missverstanden hat — dann tut er damit den tatsächlich von Antisemitismus betroffenen Personen alles andere als einen Gefallen.

„Ich habe nicht gelogen, ich trage den Stern immer.“
(Gil Ofarim in der Bild-Zeitung)

Dann hat die hämische „Das wird man doch noch sagen dürfen“-Facebook-Fraktion, die aus Prinzip alles abwertend mit Lach-Smiley-Funktion kommentiert, ein gefundenes Fressen. Das ist nämlich deren Narrativ: Mäßig erfolgreicher Musiker möchte sich mit erfundener Geschichte und der Tränendrüse PR erkaufen. Für sie wäre dies eine Bestätigung (oder ist es jetzt schon). Stellte sich Ofarims Geschichte gar als Lüge heraus, würde dann tatsächlichen Opfern (mit denen man sich solidarisieren muss!) vielleicht noch weniger Glauben geschenkt werden. Ein Bärendienst eben.

Was wir daraus lernen sollten

Wir — die Internet-Nutzen, sollten, gerade bei so schwerwiegenden Vorwürfen, unsere Emotionen erstmal ein wenig im Zaum halten, bevor wir wutschäumend mit den Mistgabeln auf digitalen Protestzug gehen und Richter spielen. Das gilt auch für Leute wie Oliver Pocher, der sich zuerst stante pede mit Ofarim solidarisierte, jetzt aber launige Parodien über den Musiker und die Situation bringt. Beide Male ganz offensichtlich, ohne einmal durchgeatmet zu haben.

Mit voreiligen Reaktionen ist niemandem geholfen — auch nicht denen, den man helfen will und muss. Die sozialen Medien haben uns dazu gebracht, immer sofort zu reagieren, zu urteilen, unsere Meinung sofort zu sagen. Vielleicht sollte uns dieser Vorfall lehren, Tweets und richterlichen Schuldsprüchen nicht immer sofort abzuschicken. Noch einmal: Das bedeutet aber keineswegs, dass man nicht reagieren oder eingreifen und sich solidarisch zeigen sollte. (Redaktion KuT)