MusikDJ Ötzi wird 20: Das große Interview zum Jubiläum

DJ Ötzi wird 20: Das große Interview zum Jubiläum
DJ Ötzi wird 20: Das große Interview zum Jubiläum

Foto: Friedrich Hauswirth

Paul VerhobenPaul Verhoben | 07.01.2019, 15:35 Uhr

DJ Ötzi über seine schwierige Kindheit, das Loslassen der Vergangenheit, seinen neuen Lifestyle, den Luxus seiner Familie, die Magie seiner Wollmütze und ein Treffen mit Paul McCartney-

DJ Ötzi wird 20: Das große Interview zum Jubiläum

Foto: Friedrich Hauswirth

Klatsch-Tratsch-Autorin Katja Schwemmers traf DJ Ötzi, der am 7. Januar 48 Jahre alt wird, beim Abendessen in Hamburg. Der gelernte Koch stellte sich dafür selbst hinter den Herd und kredenzte eine schmackhafte Kürbissuppe, Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn – wie sich das für einen Österreicher gehört. 20 Jahre mischt der Kultsänger, den Freunde Gerry Friedle nennen, nun schon die Musikcharts auf. „Anton aus Tirol“ bedeute für ihn den Durchbruch. Später lieferte er mit „Ein Stern (der deinen Namen trägt)“ die im deutschsprachigen Raum erfolgreichste Single überhaupt. Zu seinem Jubiläum erscheint nun das Doppel-Album mit 20 deutschen und 20 englischen Stücken, darunter Remixe seiner bekannten Hits sowie Duette mit Marie Wegener und voXXclub. Seine Kindheit war indes nicht immer einfach: Von seiner 17-jährigen Mutter wurde er direkt nach der Geburt zu Pflegeeltern gegeben. Als sein Vater, der österreichische DJ Anton Friedle, erfuhr, dass er einen Sohn hat, holte er ihn zu seinen Großeltern. Lange hat er mit sich gehadert, nun hat er mit der Vergangenheit abgeschlossen, wie er im Interview erzählt.

Herr Friedle, was sind Ihre persönlichen Höhepunkte aus 20 Jahren DJ Ötzi?
Ich erinnere mich gern an die Anfänge. Ich hatte in Wien einen meiner ersten Auftritte. Ein paar Stunden danach erhielt ich einen Anruf, dass ich vom „Anton aus Tirol“ 14.000 Platten verkauft hatte. Da dachte ich mir: „So viel? Ich bin ein Superstar!“ (lacht) Das war natürlich nichts im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte.

Mit „Hey Baby“ schafften Sie es sogar in Australien und Großbritannien auf Platz 1.
Das war groß. Ich hatte einen Auftritt in der Musik-Show „Top Of The Pops“ in London. Da gab es diesen Moment, wo ich aus meiner Garderobe rauskomme, sich ein Herr bei mir als „Herbie“ vorstellte und meinte, er würde sich freuen, mich kennenzulernen. Ich sagte ihm, dass ich gleich auf die Bühne müsste und wir später weiterreden könnten. Es stellte sich heraus, dass es Herbie Hancock war, der berühmte Jazz-Pianist! (lacht) Seine Musik kannte ich natürlich, aber ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, ihn vis-à-vis vor meiner Garderobe zu treffen. Es war sowieso alles recht surreal.

Inwiefern?
Vor mir probte Jennifer Lopez mit ihren 15 Tänzern. Auch Jamiroquai war in der Sendung. Als ich zurück in meine Garderobe ging, sah ich Paul McCartney aus dem Augenwinkel. Da nahm ich allen Mut zusammen und fragte ihn direkt: „Can I have a picture?“ Als ich ihm sagte, dass ich aus Österreich sei, meinte er, er würde „Hey Baby“ kennen und würde Lipizzaner und die Spanische Hofreitschule lieben. Beim Verlassen des Studios ist mir auch noch der Boxer George Foreman über den Weg gelaufen. Den bat ich auch um ein Foto. Er nahm mich in den Arm. Es war ein megageiles Erlebnis.

Wie wurden Sie mit „Hey Baby“ international zum Star?
Der Song ist über Dänemark groß geworden, dann schwappte er rüber nach Irland, und die haben es dann schwarz importiert nach England. Mein Produzent rief mich damals an und meinte: „Gerry, wir sind Platz 45 in England!“ Ich sagte nur: „Bitte ruf mich erst wieder an, wenn wir die Nummer 1 sind.“ Denn ich war so überzeugt, dass der Song groß ist. Doch dann kamen die Anschläge vom 11. September 2001 – exakt dem Tag der Single-Veröffentlichung in Großbritannien. Ich dachte: „Mist, die Chance deines Lebens ist damit vertan. Niemand braucht jetzt einen Party-Song wie ‚Hey Baby’.“ Ich hatte ja selber drei Tage nur vorm Fernseher gesessen und die schlimmen Bilder angeguckt. Aber es hat dann doch geklappt: Eine Woche später waren wir die Nummer 1 in Großbritannien.

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Foto: Friedrich Hauswirth

Wie hat das mit DJ Ötzi überhaupt angefangen?
Ich habe mich selbst entdeckt. Ich wollte damals meine Ex-Freundin zurückgewinnen und sang bei einer Veranstaltung „Me & Bobby McGee“ von Janis Joplin. Ich bekam so viel Applaus, dass mir klar wurde, dass ich nicht nur kochen, sondern auch singen kann. Ich wollte von heute auf morgen auf die Bühne. Nur: Mich wollte keiner! Ich habe Demo-Aufnahmen an Plattenfirmen geschickt, aber niemand war interessiert. Ich musste mir etwas überlegen, damit mich jemand entdeckt. Und so wurde ich DJ, das habe ich acht Jahre gemacht.

Und Sie wurden dann doch noch entdeckt?
Genau. Ich sollte den „Anton aus Tirol“ singen. Aber ich lehnte das vorerst ab. Ich wollte etwas Rockiges aufnehmen, passend zu meiner Stimme. Letztendlich bin ich dann doch über das Lied „Anton aus Tirol“, mit dem ich mich überhaupt nicht identifizieren konnte, aber trotzdem alles dafür gab, von heute auf morgen berühmt geworden. „Ich bin so schön, ich bin so toll…“ – jeder hat die Zeilen gesungen, jeder fand sich damit schön und toll. Eigentlich hatte ich keine Chance, aber die habe ich voll genutzt.

Sind Sie nach den ersten Erfolgen durchgedreht?
Überhaupt nicht. Abzuheben passt nicht zu meinem Lebenslauf oder meiner Natur.

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Foto: Friedrich Hauswirth

Wieso nicht?
Ich habe schon in frühester Kindheit Ablehnung erfahren. Dadurch habe ich immer Selbstzweifel und Entmutigung mit mir rumgetragen. Da war diese innere Stimme, die mir sagte: „Wieso sollte mich denn irgendwer brauchen können?“

Was war der Grund für die Ablehnung?
Ich bin mit drei oder vier Jahren zu meinen Großeltern gekommen und deshalb vom unteren Inntal ins obere gezogen. Ich galt dort anfangs als Zugereister. Das reichte schon in der Schulklasse. Ich war damals auch noch schwerer Epileptiker und hatte im Klassenraum einen Anfall. Noch dazu war mein Großvater Polizist. Er war in dem kleinen Dorf zwar angesehen; geliebt haben sie ihn aber auch nicht gerade.

War das trotzdem die Motivation für Sie, aus Ihrem Leben etwas zu machen?
Nein, meine Motivation war nie, es denen zu zeigen. Warum auch, es gab keinen Grund dafür. Besagte Leute waren nie in meiner Welt. Aber vor ein paar Tagen hatte ich Klassentreffen – nach 40 Jahren. Das war super, denn dadurch habe ich vieles von damals aufarbeiten können. Dieses Gefühl, keinen Groll mehr zu hegen, wenn ich an damals denke, ist wunderbar. Ich habe aus dem Minus ein Plus machen können. Also ist alles gut.

Haben die ehemaligen Mitschüler sich nicht gewundert, dass DJ Ötzi überhaupt zum Klassentreffen erscheint?
Ich hatte im Vorwege zugesagt, dann komme ich auch. Klar war es toll für sie, es war aber auch wahnsinnig positiv für mich – gerade weil ich dieses Mobbing erfahren hatte. Diesen negativen Gedanken nicht mehr nachhängen zu müssen, ist großartig. Sowieso habe ich in den letzten Jahren ordentlich aufgeräumt in meinem Leben.

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Foto: Friedrich Hauswirth/Electrola

Wie das?
Ich habe alle negativen Leute in meinem Umfeld entfernt. Wenn du neu beginnen willst, musst du mit dem Alten nicht nur abschließen und verzeihen, sondern es auch aufarbeiten. Dabei ging ich mitunter durch die Hölle. Manches ist dabei aber auch in Schall und Rauch aufgegangen. Ich habe darüber reflektiert, es aufgeschrieben und die Zettel verbrannt. Außerdem habe ich mein Glück mit dem Jakobsweg gefunden.

Wie oft sind Sie den Jakobsweg gegangen?
Zwei Mal. Aber ich mache das sicherlich noch ein drittes Mal. Dann aber nicht nur die Route von 270 Kilometer, sondern die ab Notre-Dame – das sind dann 759 Kilometer.

Und die wunden Füße?
Das kann man ertragen – Jesus hat viel mehr ertragen! Mich macht es glücklich. Früher war ich nie stolz auf mich. Mir ist dadurch klar geworden, dass ich stolz auf mich sein kann. Ich dachte vorher immer: „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.“ Wenn du stolz bist, dann hebst du ab. Ich habe also nie Erfolge gefeiert, sondern einfach immer weiter gemacht.

Aber das hat sich geändert?
Nach dem Jakobsweg sagte ich mir: „Schluss jetzt, sei mal stolz auf dich, den Weg geschafft zu haben. Und schau mal, was du alles schon geleistet hast. Wie eisern und fleißig du warst. Du brauchst nicht an dir zweifeln. Du kannst was, du bildest und entwickelst dich weiter.“ Der Weg hat mich echt gerettet. Ich musste raus aus meinem Leben, um ins Leben zurückzufinden. Ich bin mit dem kleinen Jungen in mir, den ich so lange auf die Seite gestellt habe, wieder eins. Mir kann so schnell nichts mehr passieren. So kam es übrigens auch, dass ich den Mut aufbrachte, Geld zu investieren, um 2018 auf meine erste Solotour zu machen. Hätte ich das nur schon früher gewagt: Nichts hat mich so glücklich gemacht wie der Gedanke, dass die Leute wegen mir zu den Konzerten kommen.

Wie wichtig ist Ihnen Ihr Glaube?
Ich glaube an Gott. Ich glaube an Jesus. Über ihn schließt sich der Kreis. Wenn ich mit ihm spreche, höre ich in gewissem Sinne mir selber zu und gebe mir dadurch Kraft. Deswegen sage ich auch nie bitte, sondern immer danke. Nicht nur für jeden gelebten Tag, sondern auch, wenn er mir mal eine Prüfung stellt.

Haben Sie eine Lebensphilosophie?
Denke groß, aber fang klein an. Nichts ist falsch im Leben, nur darfst du keinen Fehler zwei Mal machen. Man sollte nicht in der Vergangenheit leben. Denn das Wasser, das runtergeronnen ist, dreht keine Mühle mehr.

Sie sind erschlankt in den letzten Jahren. Haben Sie auch an Ihrem Lifestyle rumgeschraubt?
Klar! Wenn du dich entscheidest, dein Leben zu ändern oder zu verbessern, dann muss du auch an der Ernährung drehen und schauen, dass du ein bisschen mehr Sport machst. Mein Problem ist noch das Rauchen, aber das bekomme ich auch noch in den Griff.

Fällt Ihnen das mit der Ernährung als gelernter Koch nicht besonders schwer?
Ich koche gerne für andere, am liebsten für meine Frau, die dann immer gute Laune bekommt. Aber ich selber muss widerstehen, weil ich das auch will.

Waren Sie immer so zielstrebig und diszipliniert?
Mittlerweile bin ich’s. Ich will ja auch meiner Frau imponieren und ihr zeigen, dass ich nicht nur in der Musik etwas durchziehen kann. Wenn man 20 Jahre im Musikbusiness ist, lernt man auch, mal hart zu sich selbst zu sein. Erfolg heißt tatsächlich auch Verzicht. Ich habe verzichtet auf meine Familie, Freunde, auf meine Heimat.

Könnten Sie sich vorstellen, Österreich mal ganz zu verlassen?
Nein, ein Umzug käme für mich nicht in Frage. Österreich ist das schönste Land, was es gibt. Das erkennst du aber erst, wenn du weggehst oder unterwegs bist. Dann fängst du an, es zu vermissen.

Ist DJ Ötzi Kult?
Es sind sehr viele junge Leute zu den Konzerten gekommen. Ich spüre, dass sich da was bewegt. Auf der Straße singen sie mir Songtitel wie „Ein Stern“, „Geboren um dich zu lieben“ oder „Amore“ hinterher. Oder sie fragen einfach nur: „Hallo Gerry, wie geht’s dir?“ Viele sprechen mich auch mit Herr Ötzi an.

Und trotzdem wird DJ Ötzi von einigen Leuten noch belächelt.
Weil sie mich auf Après-Ski und Hütten-Gaudi reduzieren. DJ Ötzi ist nun mal Massenpublikum. Aber wenn meine Songs generell keine Hits wären, wären es auch keine Après-Ski-Hits. Meine Songs haben überdauert, das wundert mich selber, dass die Erfolge so nachhallen. Denn das Ziel war nie, es einfach nur groß zu machen. Nur wenn ich das Gefühl hatte, dass etwas gut ist, habe ich alles dafür getan, bis es groß wird.

Was ist Ihr größter Luxus?
Wenn ich Zeit mit meiner Familie verbringen kann. Heute hat mich meine Tochter Lisa-Marie fünf Mal angerufen, weil ich nicht bei ihr bin. Meine Frau Sonja ist mittlerweile meine Managerin, so dass sie oft dabei ist. Allen anderen Luxus kann ich mir zwar leisten, aber brauche ich nicht. Wenn ich mit dem Fiat Cinquecento unterwegs bin, lässt mich das auch so cool fühlen.

Haben Sie Lisa-Marie nach der Presley-Tochter benannt?
Ja. Ich bin großer Elvis-Presley-Fan, ich war schon zwei Mal auf Graceland. Ich war sofort sein großer Fan, weil er ein Wahnsinns-Charisma und so etwas Warmes in der Stimme hat. Ich besitze auch etwas von ihm – und von Michael Jackson. Aber ich verrate nicht, was es ist.

Was können Sie nicht gut?
Ich bin kein guter Kartenspieler. Wir spielen immer zu viert „Blind-Watten“, und wir Männer verlieren immer. Ich bin nicht der beste Verlierer. Ich kriege schlechte Laune, wenn der Sieger sich abfeiern lässt.

Haben Sie einen Tick?
Ja, einen Schuhtick. Ich habe 20 Jahre lang Turnschuhe von „Timberland“ gesammelt – über 50 Paar habe ich. Wenn mir etwas richtig gefällt, dann denke ich immer, dass es das morgen nicht mehr gibt, und dann kaufe ich gleich drei Exemplare davon.

Was ist das Geheimnis hinter Ihrer weißen Wollmütze?
Magie! Sie verleiht Kraft und Power. Sie ist nicht nur Markenzeichen, und sie ist keine Verkleidung. Diese Haube gibt mir den Mut, mehr zu sein. Gerry Friedle meidet Elefanten, DJ Ötzi reitet Elefanten! Es steckt also mehr dahinter als man sich denkt.

Wie viele haben Sie davon?
Mittlerweile an die 50. Früher hat meine geliebte Oma die für mich gemacht. Sie ist leider vor drei Jahren verstorben. Nun macht sie eine Freundin der Familie. Sie schickt mir jeden Monat 10 bis 15 Stück. So kann ich sie auch mal weiterverschenken.

Interview: Katja Schwemmers