Die neue Nr. 1 in den USAFilmkritik „A Quiet Place“: Unerträgliche Stille, megagenialer Horror!

A Quiet Place
A Quiet Place

© Paramount Pictures

Paul VerhobenPaul Verhoben | 09.04.2018, 20:54 Uhr

Wer leben will, muss leise sein. Im Horrorthriller „A Quiet Place“ kämpft eine Familie lautlos ums Überleben, denn todbringende Aliens werden von Geräuschen angelockt. John Krasinskis Film fesselt sein Publikum mit unbehaglicher Stille – und wird dann laut.

Regisseur, Autor, Produzent John Krasinski und Emily Blunt . Foto: Paramount Pictures.

Auf den ersten Blick sieht alles idyllisch aus. An einem Waldrand steht eine typisch amerikanische Farm mit einem Stall und einem Speicher, daneben ein paar Maisfelder, die nächste gemütliche Kleinstadt ist nicht weit entfernt. Doch die Idylle trügt. An diesem stillen Ort kann schon ein leises Geräusch tödlich sein. Denn in John Krasinskis dystopischem Horrorthriller „A Quiet Place“ jagen furchteinflößende außerirdische Monster nach Gehör.

Ehepaar Blunt-Krasinski in den Hauptrollen

In seinem Film spielt der Genre-Neuling Krasinski, der als Darsteller in der US-Version der Serie „The Office“ einem breiten Publikum bekannt wurde, die Hauptrolle neben seiner britischen Ehefrau Emily Blunt („Edge of Tomorrow“). Als Lee und Evelyn Abbott leben sie mit ihren Kindern auf der Farm und müssen nach einer Alien-Invasion den Alltag lautlos meistern. Früh wird klar, dass schon unzählige Menschen den blinden Monstern zum Opfer gefallen sind, weil sie nicht leise genug waren. Die Abbotts haben das auf schrecklichste Weise selbst erlebt.

Die Familie läuft nur noch barfuß. Vater Lee streut Sand auf allen Wegen. Die Kinder spielen Monopoly mit Stofffiguren und würfeln auf einer Decke. Sie kommunizieren fast nur über Gebärdensprache. Es dauert mehr als eine halbe Stunde, bis im Film eines der wenigen Worte gesprochen wird. Bei ihren Fußmärschen zum Supermarkt der verlassenen Kleinstadt nehmen die Abbotts das Nötigste mit und nur Dinge, die keine lauten Geräusche machen. Chipstüten sind tabu.

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Bloß kein Babygeschrei!

Weil Evelyn schwanger ist, arbeitet die Familie mit Hochdruck an einem schalldichten Raum. Denn wenn die außerirdischen Monster das Babygeschrei hören sollten, wäre das der sichere Tod. Dass nicht alles wie erhofft klappt, gehört zu den Gesetzen des Horrorkinos. Die Geburt des Kindes zählt zu den spannendsten und dramatischsten Szenen des Films. Ganz nebenbei hat Krasinski eine gelungene Anspielung auf Alfred Hitchcocks Gruselklassiker „Psycho“ von 1960 eingebaut.

Vermutlich wäre Altmeister Hitchcock, der bei seinem Thriller „Die Vögel“ auf Musik verzichtete und nur Vogelgeräusche einsetzte, von der Grundidee des Films begeistert gewesen. Die Stille in „A Quiet Place“ ist die große Stärke des Films. Krasinski kostet sie voll aus. In manchen Szenen ist sie beinahe unerträglich, weil man sich im Kinosessel nicht nur vor den Kreaturen fürchtet, sondern schon vor dem nächsten Geräusch.

Allein der Anblick von Dingen, die einen Ton verursachen könnten, darunter ein Nagel in der Treppe, lässt schaudern. Die Geräusche kommen dann umso lauter und mit maximaler Schockwirkung. In diesen Momenten erklingt auch ganz gezielt die Filmmusik von Horrorspezialist Marco Beltrami („Scream“).

Unfassbarer Nervenkitzel

In den Szenen mit Tochter Regan treibt Krasinski den Nervenkitzel echt auf die Spitze. Der Grund: Regan ist nämlich gehörlos, weshalb viele ihrer Szenen komplett tonlos sind. Diese absolute Stille ist ein Geniestreich. Krasinski zieht das Publikum damit in seinen Film hinein und lässt es die Situation authentisch erleben.

Die Schauspielerin Millicent Simmonds („Wonderstruck“) ist tatsächlich gehörlos. Am Set half sie den anderen mit der Gebärdensprache. Ihren jüngeren Bruder Marcus spielt Noah Jupe („The Night Manager“) mit panischer Mimik. Nicht nur den Kindern, auch der hervorragenden Emily Blunt und ihrem Ehemann steht die Angst ins Gesicht geschrieben. Dass die beiden auch im wahren Leben zwei gemeinsame Kinder haben, war für die Rollen sicher ein Vorteil. Der Film ist auch Familiendrama.

Wenig Akteure – wenige Worte – genial!

Nicht mal ein Dutzend Schauspieler, wenige gesprochene Worte, eine kleine Kulisse – John Krasinski hat seinen ersten Thriller minimalistisch, aber mit maximaler Effizienz inszeniert, als wäre er ein alter Profi. Der 38-Jährige, der zuvor vor allem als Darsteller in Komödien auffiel, beherrscht alle Tricks des Erschreckens. Er verschwendet keine Zeit mit Erklärungen oder Hintergrund. Nach wenigen Minuten ist das Publikum mittendrin in diesem dystopischen Horror.

„A Quiet Place“ ist nichts für Zartbesaitete, sondern ein Thriller zum Nägelkauen, der mit klassischen Schockeffekten punktet und weitestgehend ohne brutale oder besonders blutige Bilder auskommt. Das Ende kommt etwas zu abrupt und überraschend.

Mit 90 Minuten ist der Film außerdem recht kurz. Aber dadurch bleibt keine Zeit zum Durchatmen. Für Kinozuschauer heißt das, dass selbst die kürzeste Pinkelpause bei „A Quiet Place“ tabu ist. Und Chipstüten sind es sowieso. (Philip Dethlefs, dpa)