MusikJames Blunt: „Mit Heim-Konzerten können wir die Isolation überwinden“

https://www.magenta-musik-360.de/street-gigs/james-blunt-livestream
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Markus Nass/Telekom

Paul VerhobenPaul Verhoben | 22.03.2020, 22:35 Uhr

Die ganze Welt befindet sich im Lockdown-Modus. Aber um die (Pop-)Kultur wird es trotzdem nicht leise – ganz im Gegenteil: Ob Gianna Nannini, John Legend, Keith Urban oder Robbie Williams – sie allen streamten Konzerte live in die Quarantäne-Wohnzimmer ihrer Fans.

Einer der ersten, der dies tat, war James Blunt. Er spielte ein so genanntes Geisterkonzert ohne Publikum in der Hamburger Elbphilharmonie, das 1,7 Millionen Zuschauer weltweit übers Internet verfolgen konnten. Im Interview mit klatsch-tratsch.de-Starreporterin Katja Schwemmers erzählt der britische Singer-Songwriter, warum er Heimkonzerte für das Modell der Zukunft hält, und wie er persönlich von Corona betroffen ist.

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James, Hand aufs Herz: Wie oft hast du dir heute schon die Hände gewaschen?
Eine vernünftige Anzahl von Malen! Es ist so wichtig, dass wir alle den Anweisungen der Gesundheitsbehörden folgen. Und trotz der starken Einschränkungen müssen wir Wege finden, unsere Leben zu leben.

Hast du Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus?
Es geht weniger um mich selbst, als um die Schwächeren der Gesellschaft. Wir sollten uns fragen: Wer sind die anderen Menschen, die Angst haben, und wie können wir ihnen helfen? Ich denke da auch an meinen Vater, der mir unheimlich nahe steht. Er hat erst vor kurzem eine Spender-Niere erhalten. Durch das Coronavirus ist da jetzt noch mehr Potenzial, dass wir uns Sorgen um ihn machen müssen.

Du hast mit ihm ja auch das Video zu „Monsters“ gedreht, in dem du Abschied von ihm nimmst. Damals war er noch sterbenskrank und hatte keine Niere in Aussicht.
Ja, und ich schätze mich als sehr glücklich, ihm die Dinge, die ich ihm sagen wollte, in einem Song sagen zu können. Denn ich hätte dies alles nicht im normalen Leben zu ihm gesagt. Ich fühle mich aber auch sehr glücklich, die Zeit jetzt mit ihm zu haben, um ihm solche Sachen zu sagen. Manche Menschen haben diese Chance nicht mehr, wenn ein Elternteil erkrankt, weil alles so schnell geht. Ich konnte es erst durch die Musik tun und nun im Leben. Umso wichtiger, dass er auch die Zeit von Corona übersteht.

Hatte sich dein Umgang mit Fans zuletzt geändert?
Ich selbst ändere die Dinge nicht, die Rahmenbedingungen ändern alles. Bei meinen letzten Konzerten war es eher andersrum: Ich war glücklich, dass ich auf einer Bühne war und die Leute isoliert von mir sein konnten.

Wie hast du es empfunden, als mitten in deiner Europatour der gesamte Kulturbetrieb zum Erliegen kam?
Das war krass. Überall, wo wir waren, hatten wir Riesenspaß, das Publikum war großartig. Auf vielfältige Art war es ein Zelebrieren des Lebens. In Deutschland mussten wir die Tour dann abrupt abbrechen – verständlicherweise. Und jetzt bewegen wir uns in eine andere Richtung der Kommunikation. Unser Hamburg-Konzert haben wir noch gespielt, aber ohne Publikum. Wir streamten das Konzert live übers Internet zu den Leuten nach Hause, die derzeit das Gefühl haben, festzusitzen, weil sie nicht mehr rausgehen sollen. Für mich ist das eine spannende Entwicklung.

Ist es nicht komisch, ein Konzert in einem leeren bestuhlten Saal zu spielen?
Es ist schon sehr besonders. Ich erinnerte mich daran, dass ich mir mal die DVD von Pink Floyd „Live At Pompeii“ angeschaut habe, wo sie 1971 in einem leeren Amphitheater auftraten. Trotzdem spürte man die Geschichte von dem, was vorher da war. Und genauso fühlte ich im Bezug auf mein Konzert: Da waren leere Sitze vor mir, aber der Geist der Musiker und des Publikums, die hier zuvor Spaß hatten, war immer noch präsent.

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Gefällt dir der Begriff Geisterkonzert, den du damit prägtest?
Geisterkonzert klingt doch fast schon wieder cool!

Wie singt man für ein imaginäres Publikum?
Man ist ja umgeben von Kameras. Ich war mir sehr bewusst, dass Tausende Augen an den Bildschirmen Zuhause auf mich gerichtet sind. Das Publikum ist also da, auch wenn ich es nicht sehe – ich performe für diese Menschen. Die Verbindung ist fast dieselbe.

Letztendlich ist es bei voraufgezeichneten TV-Shows vermutlich auch nicht viel anders, oder?
Es ist sehr ähnlich. Selbst wenn du in einem Tonstudio ein Album aufnimmst, ist das, was du tust, immer noch eine Performance. Man ruht dann vielleicht nur etwas mehr in sich und besinnt sich auf die Kernaussage der Songs.

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Die italienische Rocksängerin Gianna Nannini veranstaltete ein „virtuelles Konzert gegen Corona-Einsamkeit“, das sie live aus ihrem Haus in Mailand für ihre gebeutelten Landsleute streamte.
Das tun jetzt immer mehr Bands. Wir haben ein Konzert nur für China gespielt, die ja auch den totalen Lockdown erlebten. Das ist das Fantastische an moderner Technologie: Wir bleiben in Verbindung über unsere Mobiltelefone. Wir sind in der Lage, solche Konzerte in Echtzeit zu übertragen. Es ist die Art, wie wir die Isolation überwinden können. Es dürfte ein Lebensretter für viele Menschen sein!

Und ein Modell der Zukunft?
Ich glaube schon – definitiv aber für die nächsten Monate. Denn es wird noch einige Zeit so weitergehen, dass wir keine Live-Shows mehr machen können. Es gibt vieles in der modernen Welt, was uns ängstlich werden lässt: Politiker treiben einen Keil zwischen uns, damit sie viele Jahre die Macht über uns haben. Es gibt Vorurteile, die wir gegenüber bestimmten Menschengruppen haben. Und was wir nun mit dem Coronavirus erleben ist, dass wir noch mehr Angst voreinander haben. Insofern sind solche Events im Internet auch generell wichtig, weil sie uns zusammenbringen. Wir unterstützen und informieren uns, und wir bleiben verbunden miteinander.

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Markus Nass/Telekom

Viele sehen auch das Positive – nämlich, dass Sie durch die Quarantäne endlich mal Zeit für Dinge haben, die sonst zu kurz kommen.
Für mich persönlich sehe ich das auch so. Ich kann Energie auftanken und den Zähler auf Null stellen. Aber für einige Leute im Kulturbetrieb wird es unglaublich schwer werden. Ich meine damit gar nicht mal gesundheitlich, sondern finanziell. Gerade Künstler, die aufs Livespielen angewiesen sind, wird es hart treffen.

Liegt in der Krise auch eine Chance für uns Menschen?
Auf jeden Fall. Ich glaube, dass wir jetzt wirklich zeigen können, dass wir es zwischenmenschlich und in Bezug auf unseren Planeten besser machen können.

Auf deinem aktuellen Album beschwörst du einige apokalyptische Szenarien herauf und thematisierst soziale Kälte.
Diesmal passierten Dinge zu Hause und in der Welt, die wichtiger waren, als Lieder für das Publikum oder meine Plattenfirma zu schreiben. Ich schrieb also Songs für meine Kinder, die in dieser kaputten Welt aufwachsen, und meinen damals noch sterbenskranken Vater – ohne irgendwelche Filter oder Angst. Es fühlt sich realer an. Denn meine letzten Alben waren von dem Gedanken an mein Publikum geprägt. Ich wurde als Reaktion darauf immer introvertierter in meiner Musik. Das kann ich heute aber nicht mehr sein, weil ich ein verantwortungsvoller Vater bin und nicht mehr der Typ, der eine Party nach der anderen feiert.

Du bist ja der Meister der traurigen Songs. Aber du bist damit nicht mehr alleine: Sam Smith und Lewis Capaldi können das auch ganz gut. Sind die Konkurrenz für dich?
Ich habe definitiv nicht das Genre der traurigen Lieder erfunden. Damals war da David Grey, der mir die Türen öffnete auf vielfältige Weise. Und auch Damien Rice. Aber vor ihnen gab es andere Künstler, die den Weg aufgezeigt haben. Ein Mann mit Gitarre, der traurige Lieder singt – das Konzept gibt es schon seit Jahrzehnten.

Den Telekom Street Gig mit James Blunt hier zum Anschauen.