Schminke verändert vieles – nur nicht, wer wir sind

Foto: BROTE studio / pexels.com

AvatarSebastian Wagner | 12.12.2025, 14:59 Uhr | ANZEIGE

Make-up kann vieles: Konturen betonen, Stimmungen vermitteln, Looks definieren. In sozialen Medien prägt es Selfies, Filter, digitale Selbstdarstellung und wird oft zu einem festen visuellen Erkennungszeichen – besonders bei prominenten Gesichtern. Online wirkt Make-up also genauso sichtbar wie offline, manchmal sogar stärker.

Ganz anders ist es jedoch in Bereichen, in denen es um Identifikation geht. Biometrische Systeme interessieren sich kaum für Farben, Trends oder Stil. Für sie zählen Merkmale, die unabhängig von Make-up bestehen bleiben.

Stil als visuelles Markenzeichen

Viele Menschen verbinden bekannte Gesichter mit klaren Stilmerkmalen. Bei Ariana Grande sind es der hohe Pferdeschwanz und der schmale Eyeliner, bei Amy Winehouse der markante Lidstrich, bei Kim Kardashian das Contouring, bei Taylor Swift der rote Lippenstift. Solche Looks funktionieren wie ein optisches Kürzel. Sie sind Teil eines öffentlichen Images und entstehen nicht zufällig, sondern durch Wiederholung, Präzision und Wiedererkennbarkeit.

Diese Stilmerkmale sind im gesellschaftlichen und medialen Kontext relevant, weil sie Persönlichkeit, Haltung und Marke transportieren. Ein bestimmter Look kann zu einem vertrauten Signal werden – etwas, das Fans sofort einordnen, unabhängig von Kleidung, Umgebung oder Licht. Make-up wird damit nicht nur zu einem ästhetischen Werkzeug, sondern auch zu einem kommunikativen.

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Digitale Selbstdarstellung, Filter und reale Identitätsprüfung

Auch online spielt Stil eine große Rolle: Selfies, Beauty-Filter und Bildbearbeitung prägen heute die digitale Außendarstellung stärker als je zuvor. Viele Apps bieten Effekte, die Haut glätten, Augen vergrößern, Schatten anpassen oder Konturen verändern – ideal für Social Media, aber problematisch, sobald es um echte Identität geht. Forschung zeigt, dass solche Filter automatische Erkennungssysteme irritieren können, wenn sie Gesichtspartien stark verzerren oder überdecken. Das betrifft jedoch vor allem Plattformen, auf denen Bilder frei bearbeitet werden dürfen.

Bei echten Identitätsprüfungen gelten andere Regeln. Banken, Bezahldienste, Mobilfunkanbieter, Online-Casinos, Versicherungen oder große Plattformen wie Airbnb und Tinder setzen in ihren KYC-Verfahren auf Live-Selfies, die nicht bearbeitet sein dürfen. Zwar gibt es in manchen Bereichen Anbieter die darauf verzichten, wie ausländisch lizenzierte iGaming Plattformen, die ohne KYC Prozess auszahlen oder Datingseiten, Profile nur oberflächlich prüfen und keine verbindliche Verifikation verlangen,

Aber oft ist es zur Sicherheit unumgänglich, die Identität einer Person zu überprüfen. Dort läuft dann im Normalfall ein Abgleich zwischen dem Gesicht und dem Ausweisdokument, ergänzt durch sogenannte Liveness-Checks, die natürliche Bewegungen, Tiefe, Lichtreflexe und Mikrostrukturen prüfen. Ein Filter, der die Haut glättet oder die Augen verändert, fällt bei solchen Prüfungen sofort auf – entweder durch automatische Ablehnung oder durch manuelle Nachprüfung.

Für kreative Selbstdarstellung funktionieren Make-up und Filter hervorragend, doch bei sicherheitsrelevanten Prozessen zählt das unverfälschte, echte Gesicht.

Wie digitale Systeme Gesichter tatsächlich erkennen

In digitalen Prozessen – vom Selfie-Check beim Online-Banking bis zur Identitätsprüfung bei Apps – funktionieren Erkennung und Wiedererkennung anders. Systeme orientieren sich nicht an Lidstrichen, Lippenstiften oder Hauttönen. Entscheidend sind Merkmale, die stabil bleiben:

– Abstände und Proportionen zwischen Augen, Nase, Wangen, Kinn

– feine Strukturen und Muster der Haut

– dreidimensionale Tiefe des Gesichts

– kleine, natürliche Bewegungen, die zeigen, dass es sich um ein echtes, lebendes Gesicht handelt

Diese Merkmale bilden die Grundlage von automatischer Gesichtserkennung. Sie ändern sich nicht wesentlich durch Alltags-Make-up und bleiben auch bei wechselnden Lichtverhältnissen oder unterschiedlichen Kameras relativ konstant. Ein starkes Abend-Make-up kann die Wirkung verändern, aber nicht die elementaren Eigenschaften, die für die Identifikation genutzt werden.

Was Make-up messbar verändern kann – und was nicht

Studien, die Make-up im Zusammenhang mit Gesichtserkennung untersuchen, zeigen ein klar differenziertes Bild. Starke Veränderungen, insbesondere sehr kontrastreiche Looks oder digitales Beautifying, können die Erkennungsleistung mancher Systeme verringern. Das betrifft jedoch vor allem Situationen, in denen ein Referenzfoto ohne Make-up mit einem stark veränderten Bild verglichen wird.

Auch kosmetische Eingriffe oder plastische Operationen können die Trefferquote senken, insbesondere wenn mehrere Merkmale gleichzeitig verändert werden. Doch selbst hier bleibt die Erkennung oft möglich, weil die grundlegende Struktur des Gesichts erhalten bleibt.

Im Alltag bedeutet das: Make-up verändert den Ausdruck, aber selten die Identifizierbarkeit. Systeme, die im Rahmen von KYC-Prüfungen, Video-Identverfahren oder Profilverifizierungen eingesetzt werden, sind darauf ausgelegt, sich nicht von Oberflächenmerkmalen täuschen zu lassen. Sie analysieren tiefergehende Charakteristika, die durch Schminke kaum beeinflusst werden.

In der Forschung gibt es Methoden, bei denen speziell berechnete Muster – also gewissermaßen algorithmisch optimiertes Make-up – eingesetzt werden, um Gesichtserkennungsmodelle zu irritieren. Diese Ergebnisse sind wissenschaftlich interessant, haben aber mit typischen Make-up-Looks wenig zu tun. Die Muster sehen meist ungewohnt aus und wären in realen Situationen auffällig.

Der Effekt solcher Experimente zeigt, wie KI-Systeme auf visuelle Eingriffe reagieren können, bedeutet jedoch nicht, dass konventionelles Make-up digitale Identifikationsprozesse unterläuft. Die dafür entwickelten Muster sind eher technische Angriffe als kosmetische Anwendungen.

Digitale Identität vs ästhetische Wirkung

Make-up ist ein kreatives Werkzeug, das Persönlichkeiten hervorheben und öffentliche Bilder prägen kann. Es prägt Eindrücke, schafft Wiedererkennungswert und beeinflusst, wie Menschen Gesichter wahrnehmen. Digitale Systeme folgen jedoch anderen Prinzipien. Sie identifizieren nicht über Stil, sondern über stabile, biologische Merkmale.
Der persönliche Look kann viel verändern – nur nicht die digitale Identität. Sie bleibt, unabhängig vom Make-up, dieselbe.