Zwei Boxprofis im KriegDie Klitschko-Brüder: Sie fürchten weder Tod noch Teufel

Vitali und Wladimir Klitschko in weißen Hemden
Vitali und Wladimir Klitschko in weißen Hemden

Foto: IMAGO/ ITAR-TASS

Redaktion KuTRedaktion KuT | 09.03.2022, 21:49 Uhr

Wladimir und Vitali Klitschko stehen an vorderster Front im Kampf gegen die russischen Truppen. Doch sie sind viel mehr als tapfere Krieger und das liegt an ihrer Box-Karriere.

Hand aufs Herz: Wer war bei seinem ersten Versuch 2006 davon überzeugt, dass Vitali Klitschko (50) das Zeug zu einem Spitzenpolitiker hat? Dr. Eisenfaust, wie er damals genannt wurde, hatte als Boxer alles erreicht, doch sein Celebrity-Leben im Westen schien von der ukrainischen Wirklichkeit zu weit entfernt.

Aus dem Boxring auf die politische Bühne

Zwei Wahlen später klappte es. Seither überrascht Vitali Klitschko mit Reformen, Durchsetzungskraft und Führungsqualitäten. Und auch wenn sich sein Rivale Wolodymyr Selenskyj (44) gern über seine mangelhafte Rhetorik lustig macht, Vitali Klitschko ist sehr beliebt als Bürgermeister und gilt sogar als vielversprechender Herausforderer des ukrainischen Präsidenten. Doch an Wahlen denken die beiden mutigen Politiker gerade sicher nicht.

Während der amerikanische Kriegsfilm „Sie fürchten weder Tod noch Teufel“ auf einen reißerischen Titel und wenig Realität setzt, sind die Brüder im echten Leben scheinbar völlig angstfrei. Vitali und Wladimir (45) treten auf wie Helden, man meint im Hintergrund ihre hymnischen Einlaufmusiken zu hören, die sie vor jedem Kampf zu übermächtigen Gegnern stilisierten. Mit keinem Wimpernzucken lassen sie darauf schließen, was in ihnen vorgeht. Ihre privaten Sorgen, ihre Zweifel oder ihre leise Hoffnung, auch den morgigen Tag zu erleben: Davon ist nichts zu sehen.

Mitten im Krieg rührt Wladimir Klitschko mit einem Baby-Video zu Tränen

Große Worte und größere Taten

Im Krieg gegen Russland toppt Vitali bereits alles, was er bisher geleistet hat. Dabei war das in seiner Boxprofilaufbahn nicht wenig. Ihm eng zur Seite steht seit dem ersten Tag, an dem Putins Bomben ein friedliches Leben in der Ukraine unmöglich gemacht haben, Wladimir Klitschko, der bisher eher seinen Platz in der Unterhaltungsbranche suchte. Gemeinsam nutzen sie die Skills und den Erfolg aus dem Sport, für ihren Kampf.

„Putin mag jeden Stein in der Ukraine zerstören, aber unser Wille bleibt ungebrochen“, meint Wladimir Klitschko bei seinem gestrigen Videocall mit Klaas Heufer-Umlauf in dessen Show „Late Night Berlin“, „unsere Stärke ist unsere Hoffnung.“ Der gestrige Auftritt ist nur einer von vielen Chancen, die Wladimir nutzt, um die Öffentlichkeit über den russischen Angriffskrieg zu informieren.

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Der Politiker und der Influencer

Dabei weiß er, wie er die Menge für sich begeistert: Er nutzt emotionale Worte und große Parolen, um die Menschen zu erreichen. Als Politiker gibt sich Vitali zwar rationaler, aber er ist für die verbale Unterstützung seines Bruders dankbar. Auch bei ihren gemeinsamen Auftritten via Instagram ist die Verteilung klar. Vitali bemüht sich um Sachlichkeit, Wladimir legt seine gesamte ukrainische Seele in die Aufrufe.

„Die russische Armee tötet unsere Kinder, Frauen, Männer, Zivilisten, zerstört unsere Infrastruktur, zerstört unsere Städte, bombt Raketen und schießt mit Patronen. Dieser Wahnsinn muss gestoppt werden, je eher desto besser und die Ukraine braucht Ihre Unterstützung in diesen herausfordernden Zeiten. In dieser Zeit des Krieges“, sagt Wladimir und fügt abschließend hinzu, dass sie nicht nur medizinische und militärische Hilfe benötigen: „Wir brauchen die Welt, um das zu stoppen.“

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Die Ukraine und die Klitschkos

Die Klitschkos geben dem Widerstand in der Ukraine ein prominentes Gesicht. Das ist hilfreicher als man im ersten Moment denken mag. Durch den persönlichen Bezug, den wir durch die Boxbrüder erhalten, rückt der Krieg näher an unser Herz heran. Wir kennen Vitalis Frau Natalia (48), wir wissen von Wladimirs Tochter Kaya (7) mit Hayden Panettiere (32) und auch wenn viele die bunten Infos als Klatsch abtun, diese Familie berührt so viel mehr als Opferzahlen und anonyme Bilder.

Während seiner Profikarriere hat das Schwergewicht und der vielfache Weltmeister Vitali Klitschko nur zwei Niederlagen verkraften müssen und er ist nicht bereit, gegen russische Panzer und Fliegerangriffe eine dritte zu kassieren. Auf was er zurückgreifen kann, ist seine Ruhe, sein Instinkt für Schwachstellen des Gegners und seine Ausdauer. Über die beiden letzten Skills verfügt auch Wladimir. Im Gegenzug beherrschen beide ihre eigene Angst.

Vitali Klitschkos politische Karriere

Vitali ist ein Stratege, er weiß, dass es manchmal auf den richtigen Moment ankommt und nicht auf die Kraft eines Schlags. Den Kampf gegen den Kreml führt Vitali Klitschko schon seit vielen Jahren – direkt und indirekt. Er unterstützte die „orangene Revolution“ gegen den späteren Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der als Pro-Russland-Kandidat galt und angeblich die Wahl gefälscht hatte. Auch später standen die beiden nicht auf der gleichen Seite.

Im Gegenteil: Vitali Klitschko übernahm ab 2013 eine bedeutende Rolle bei den Bürgerprotesten auf dem Maidan gegen Präsident Wiktor Janukowitsch und seine russisch beeinflusste Absage gegen die EU. Schon damals schrieb Klitschko in der Bild-Zeitung „Wenn wir Putin weitermachen lassen, stehen irgendwann russische Soldaten auf dem Maidan.“ Nun ist es fast soweit, doch dieses Mal wehren sich die Ukrainer bis aufs Blut.

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Früher roter Teppich, heute blutige Front: so krass könnte man den Weg der Klitschko-Brüder umreißen.

Foto: IMAGO/ Eventpress

Erst die Krim, dann die ganze Ukraine

Wenn Putin glaubte, er könne wie bei der Annexion der Halbinsel Krim hier einen Blitzkrieg führen, hat er sich verkalkuliert. Vitali Klitschko hält die Versorgung der Bevölkerung mit den wenigen Mitteln, die er hat, aufrecht. Er beschwört sie, nicht auf Propagandasender der Russen zu hören, sondern auf ihr ukrainisches Herz zu vertrauen.

Auf seinem Instagram-Kanal finden die Menschen notwendige Informationen, welche Apotheken geöffnet sind oder wo es Essen gibt. Er berichtet von dem Tod des Amtskollegen Jurij Prilipko, der starb als er Brot und Medizin an die Bürger verteilte, und er versichert den Menschen in Kiew, dass die Stadt bis zum Letzten verteidigt werde. Dass er als Bürgermeister dabei sein wird, versteht sich für ihn von selbst. Er ist ein Kämpfer.

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Freiwillige Bürgerwehr kurz vor Kriegsbeginn

Wladimir Klitschko hat sich kurz vor Kriegsbeginn der freiwilligen Bürgerwehr angeschlossen. Die Männer schließen einen Vertrag mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium, der besagt, dass sie eine militärische Grundausbildung erhalten, ihr ziviles Leben fortführen und nur im Verteidigungsfall für die Ukraine kämpfen müssen. Der ist eingetreten, bevor Wladimir die ersten militärischen Lektionen absolviert hat.

Als Wladimir Klitschko unterschrieb, gab es in der Ukraine tatsächlich noch einige Stimmen, die meinten, ein Angriffskrieg sei unwahrscheinlich. Wenn der Donbass-Konflikt eskalieren würde, könnte Putin im Südosten der Republik ein wenig provozieren und vielleicht eine Grenzstadt wie Charkiw angreifen. Dass Putin auf Kiew zumarschieren könnte, hat da noch kaum jemand für möglich gehalten. Wladimir Klitschko vielleicht schon.

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Wladimir (li) und Vitali Klitschko am Anfang ihrer Boxkarriere 1998.

Foto: IMAGO/ Nordiek

Dr. Steelhammer und Dr. Eisenfaust

Er ist nicht gut im Pokern, aber ihm wurde oft bestätigt, dass er über ein sehr gutes Antizipationsvermögen verfügt. Im Boxsport heißt das, dass Wladimir Klitschko die nächsten Aktionen seines Gegners vorhersehen konnte, um seine eigenen Strategien anzupassen. Wie gut er das im Krieg einsetzen kann, werden wir hoffentlich nach den Gefechten von ihm persönlich erfahren.

Nun wird Putin also in Kiew von Dr. Steelhammer und Dr. Eisenfaust erwartet. Die wissen, dass sie zu Symbolfiguren geworden sind und neben Wolodymyr Selenskyj ganz oben auf der Abschussliste von Putin stehen. „Ukraine war immer ein friedliches Land, wo friedliche Menschen leben“, erklärt Vitali Klitschko auf Instagram: „Wir sind gastfreundlich, aber jetzt nicht mehr!“ Zumindest, wenn es um die russische Armee geht.