Melanie C über ihr neues Album: „Es ist wie ein Neuanfang für mich“

Melanie C über ihr neues Album: „Es ist wie ein Neuanfang für mich“
Melanie C über ihr neues Album: „Es ist wie ein Neuanfang für mich“

Foto: Conor Clinch

Paul VerhobenPaul Verhoben | 30.09.2020, 20:19 Uhr

Melanie Chisholm alias Melanie C ist die erfolgreichste Musikerin der Spice Girls. 20 Millionen Platten hat Sporty Spice als Solo-Künstlerin verkauft. Jetzt gibt's ein neues Studiowerk.

Mit ihrem achten Album, das so heißt wie sie selbst, steht sie ab 2. Oktober in den Startlöchern. Am Donnerstag gibt es ein Stream-Konzert zur Platte (Tanzschuhe sind empfohlen).

Jeder Song ist ein hymnisches Statement für Selbstliebe, Stärke und Ermächtigung. Im Interview mit klatsch-tratsch.de-Starreporterin Katja Schwemmers spricht Melanie über Frauen in der Musik, ihre Zusammenarbeit mit jungen KünstlerInnen, Oberarmmuskeln, Selbstfindung und die Bedeutung von Girl Power im Jahr 2020.

Melanie C über ihr neues Album: „Es ist wie ein Neuanfang für mich“

Foto: Conor Clinch

Mrs. Chisholm, In Ihrem neuen Song „Who I Am“ singen Sie darüber, endlich Ihre Identität gefunden zu haben. Wieso war das lange schwer für Sie?
Ein Spice Girl zu sein und ab dem Alter von 22 von der Öffentlichkeit auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden, war sehr irritierend für mich. Da wurde über eine Version von mir geschrieben, die ich nicht wiedererkannt habe. Also fragte ich mich: „Wer bin ich? Bin ich wirklich diese Person?“ Denn ich selbst hatte andere Vorstellungen. Meinungen anderer über dich kannst du nicht kontrollieren. Du kannst nur dir selbst treu bleiben. Ich hatte mich auf dem Weg verloren. Es hat sehr lange gebraucht, um zu erkennen, dass ich all diese verschiedenen Personen bin. Und es ist schön, sich nun Zuhause zu fühlen.

Wie haben Sie das letztendlich erreicht?
Im Sommer 2019 mit den Spice Girls auf Tournee durch Großbritannien gegangen zu sein, hat mich geheilt. Es hat mir deutlich gemacht: Ich bin immer noch Sporty Spice. Das ist nicht meine Vergangenheit, es ist Gegenwart. Diese Tatsache endlich annehmen zu können, habe ich wirklich gefeiert.

Tragen Sie deshalb jetzt wieder Sportanzüge auf der Bühne – oder ist das ein Gag?
Nein! Sportbekleidung ist in der Alltagsmode extrem angesagt. Ich habe sie immer gern getragen als ich jung war. Dann kam die Phase, wo ich gegen das Sporty-Spice-Image rebellierte und mir sagte: „Ich bin jetzt erwachsen, ich muss reifer sein, femininer.“ Aber heute weiß ich, dass Sporty Spice immer ein Teil von mir sein wird.

Ist es harte Arbeit, Sporty Spice zu sein?
Niemand hat uns ja damals gesagt: Du bist Sporty Spice, du Ginger Spice und du Posh Spice! Es ist einfach so passiert, weil wir auch so waren – ein Journalist verpasste uns diese Namen. Es hat bei mir auch mit den Genen zu tun. Ich war immer schon athletisch und sportlich. Ich sah Bilder von mir als Achtjährige. Da hatte ich schon Definition. Es ist einfach meine Art von Körper.

Sie haben beeindruckende Oberarmmuskeln und ein richtiges Sixpack.
Manchmal sagen Leute zu mir: „Deine Muskeln sind zu groß!“ Dann denke ich: Nein, sie sind noch nicht groß genug! Aber das ist wirklich das tollste Kompliment, das man mir machen kann. Es gibt dafür andere Dinge, die ich an meinem Körper gerne anders hätte. Aber du musst mit dem Kapital arbeiten, dass du hast, nicht wahr? Ich liebe es, stark zu sein. Ich habe Spaß am Workout. Es ist gut für meine mentale Stärke. Ich mag es, fit für meine Arbeit zu sein.

Sie sagten mal, Sie hätten heute nicht mehr viel mit den anderen Mitgliedern der Spice Girls gemeinsam. Wie ist es dann, wenn man gemeinsam auf Tour geht?
Das stimmt so nicht ganz. Wir haben schon etwas gemeinsam: die ganzen Erfahrungen, die wir teilen. Wir sind wie eine Familie. Auch wenn wir über die Jahre unsere Höhen und Tiefen und unsere Ausfälle miteinander hatten, lieben wir uns und sorgen uns ganz tief drin umeinander. Das wird sich nie ändern. Klar, wir machen uns auch alle wahnsinnig, wie das bei einer Familie so ist. Aber wir werden immer für einander da sein.

Mit den Spice Girls haben Sie Mitte der Neunziger den Begriff der Girl Power geprägt. Bedeutet er heutzutage etwas anderes?
Girl Power ist erwachsen geworden! Und hat sich weiterentwickelt. Feminismus kann manchmal intellektuell rüberkommen. Als wir ihn mit den Spice Girls zum Thema machten, war es ein sehr verständlicher Feminismus für junge Menschen und Kinder. Auch das war nicht geplant, sondern passierte einfach. Alles, was wir wurden, war eigentlich Zufall. Wenn du dann älter wirst, realisierst du, was diese Stärke für dich und deine Lebenspläne bedeutet. Girl Power bedeutet verschiedene Dinge für verschiedene Menschen, aber die Essenz davon ist immer noch dieselbe.

Melanie C über ihr neues Album: „Es ist wie ein Neuanfang für mich“

Foto: Conor Clinch

Im Musikbusiness wurde die weltweite „Keychange“-Initiative für die Gleichstellung von Frauen ins Leben gerufen. Schon jetzt haben sich 180 Festivals darauf verständigt, bis 2022 zur Hälfte Frauen in ihr Musikprogramm aufzunehmen. Finden Sie so eine Quote gut?
Ja, sie ist wichtig. Natürlich ist es auch traurig, dass es nur so geht, um Sichtbarkeit und Gleichstellung von Frauen im Musikbusiness zu erreichen. Es hat sich auch schon vieles getan, aber es reicht natürlich noch lange nicht. Und es geht ja auch um angrenzende Bereiche: Das Umfeld in Tonstudios ist immer noch männlich dominiert. Egal, ob es sich um Tontechniker, Produzenten oder Sessionmusiker handelt. Deswegen müssen wir dem Ganzen noch einen Stoß in die richtige Richtung geben, bis es zur Selbstverständlichkeit wird.

Ist die Welt bereit dafür?
Manche Männer fühlen sich schnell eingeschüchtert von starken Frauen, das haben wir schon bei den Spice Girls gemerkt. Das kann für Spannungen sorgen, denn sie sind es ja auch nicht gewohnt, ihre Privilegien zu teilen. Aber mein Eindruck ist, dass die meisten Männer realisiert haben, dass sich in der Gesellschaft etwas verändern muss. Die #MeToo-Bewegung hat da sehr viel bewegt.

Bemühen Sie sich, in Ihrem Umfeld mehr Frauen zu beschäftigen?
Klar. Drei meiner letzten Videos hat die deutsche Regisseurin Sylvie Weber gemacht. Sie ist brillant und umgibt sich mit Frauen. Bisher war meine Erfahrung, dass auch am Videoset fast nur Männer arbeiten. Dass das Umfeld nun total weiblich war, fühlte sich gut an – die Energie ist sehr anders. Und ich fand es schön, diese Frauen zu unterstützen und von ihnen unterstützt zu werden.

Für Ihr neues Album haben Sie mit vielen jungen KünstlerInnen zusammengearbeitet. Was gibt Ihnen das?
Das ist immer sehr spannend. Wenn sie mich das erste Mal treffen, sind sie überaus respektvoll, weil sie alle irgendwie Spice-Girls-Fans waren als Heranwachsende. Sie erzählen mir dann von ihren Erinnerungen an die Zeit. Das ist ein gutes Gefühl! Und ich liebe es, mit ihnen zu arbeiten, weil sie kulturell und musikalisch sehr andere Bezugspunkte haben als ich. Ich mache Musik schon so lange, dann diesen frischen Enthusiasmus von jüngeren Co-Writern, KünstlerInnen und ProduzentInnen zu erleben, machte es aufregend für mich. Deshalb fühlt sich dieses Album auch wie ein Neubeginn an.

Für Ihre neue Single „Fearless“ räumen Sie der Rapperin Nadia Rose, der Cousine von Shootingstar Stormzy, dann auch reichlich Platz ein.
Ich bin ein riesiger Fan von Stormzy, aber Nadia spielt in ihrer eigenen Liga. Sie ist ein tolles Vorbild für junge Frauen, in dem was sie tut. Wir sprachen darüber wie es ist als Frauen in der Musik, wie viel Mut man immer wieder aufbringen muss, um diesen Traum zu leben. Egal, ob es darum geht, dich vor Tausende von Leuten auf eine Bühne zu stellen oder für eine Songwriting-Session in das Haus eines Fremden zu gehen. Genau davon handelt dieser Song, der hoffentlich auch andere ermutigt.

Wen hoffen Sie mit der neuen Platte zu erreichen?
Ich bin 46, und ich mache immer noch Popmusik. Ich bin also eine reife Popkünstlerin, was es mir nicht unbedingt leicht macht im Radio. Ich liebe Dua Lipa und Billie Eilish. Aber ich habe nun mal die Stimme einer erwachseneren Frau. Wenn reifere Frauen sich mit meiner Musik identifizieren können und Spaß an ihr haben, bin ich glücklich.

Die 18-jährige Billie Eilish nennen Sie als musikalischen Einfluss für den Song „Nowhere To Run“.
Ich mag das Dunkle in ihrer Musik. Ich habe in den letzten zwei Jahren so viel Billie-Musik gehört und bin großer Fan. Das war ich schon, bevor ich sie bei den diesjährigen Brit Awards traf und ihr einen Preis verliehen habe. Ihre Eltern waren Spice-Girls-Fans, also ist sie mit der Musik und dem Film aufgewachsen. Da war gleich eine Verbindung. Was mich wirklich an ihr und anderen jungen Menschen von heute beeindruckt ist, wie stark und selbstbewusst sie an alles herangehen.

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Foto: Conor Clinch

Wie waren Sie als Teenager?
Ich war mir nicht sicher über meinen Platz in der Welt, aber dafür unglaublich ehrgeizig! Ich wollte die nächste Madonna werden! Dann traf ich die anderen Mädels, die genauso drauf waren wie ich. Meine Kindheitsträume wurden realisiert und teilweise noch überboten. Es war so überwältigend, dass mich nichts darauf hätte vorbereiten können. Bis es irgendwann anfing, schwierig zu werden.

Um die Jahrtausendwende wurde eine Depression bei Ihnen diagnostiziert.
Leider bekamen wir während der Spice-Girls-Zeit keine emotionale oder psychologische Unterstützung. Da war so viel Druck – von mir sehr, von außen, auf Frauen generell. Es war kein nachhaltiger Lebensstil. Ich habe mich zu wenig um mich gekümmert.

Ihr neues Album ist nun voller Selbstliebe. Wie war Ihre Reise dorthin?
Sie war mitunter ein schmerzvoller Prozess und voller Drehungen und Wendungen. Es gab einfach so viel zu verarbeiten. Meine Depressionen und Essstörungen sind ja hinreichend dokumentiert. Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich mir sagen konnte: „Ich bin genug.“ Einen positiven Einfluss hatte, dass ich vor zehn Jahren Mutter wurde. Ich konnte meinen Körper plötzlich wertschätzen, weil ich realisierte, zu was er fähig war. Und ich wusste um meine Verantwortung. Denn wenn ich das Beste für mein kleines Mädchen wollte, dann musste ich auch das Beste für mich selbst wollen.

Sie sind 2019 auf zahlreichen Pride-Veranstaltungen aufgetreten. Haben Sie von der LGBTQI+-Community auch noch etwas über Selbstliebe gelernt?
Auch wenn ich keinen der Buchstaben auf mich anwenden kann, fühlte ich mich absolut akzeptiert. Es geht in der Szene wirklich nur darum, die Person zu sein, die du bist – wer auch immer das ist. Und das ist es auch, was es bedeutet, ein Spice Girl zu sein. Die Gay-Community war immer großer Unterstützer der Band. Und meine anhaltende Liebesaffäre mit der Pride-Community ist ja noch nicht vorbei. Insofern war es auch eine schöne Art, ihnen zu danken. Bei der Pride-Party in São Paulo vor über drei Millionen Menschen aufzutreten, war schon überwältigend. Und hat auch die neue Platte beeinflusst.

Inwiefern?
Ich habe meine Liebe zu Tanz-, House- und Neunziger-Musik wiederentdeckt und aktuelle Strömungen wie EDM neu entdeckt. Das ging soweit, dass ich mich seit zwei Jahren sogar als DJ verdinge. Das ist eine neue Passion von mir, und sie lässt mich die Musik anders zu betrachten und auch selbst anders zu machen. Das ist also wirklich der einflussreichste Sound für diese Platte. Es gibt auch einige Remixe der Lieder, das hat mich immer interessiert, aber nun bin ich richtiger Fan davon. Es ist also nur zum Vorteil für meine eigene Musik.

Werden Sie die Spice Girl und Ihre Solokarriere in Zukunft kombinieren?
Das hoffe ich doch! Da ist Raum für beides. Die Spice Girls können nichts planen, denn Stadion-Konzerte finden erst mal nicht statt. Priorität hat derzeit sowieso dieses Album und meine Tour, die hoffentlich ab April stattfinden kann. Wir Briten sind diesbezüglich sehr viel optimistischer als ihr Menschen auf dem Festland.